Bretschneider stellt drastisch dar, welche Opfer fürs Turnen zu bringen sind

Blut, Schweiß und Tränen

Nicht jedem war es recht, wie Andreas Bretschneider die Kämpfe beschrieb, die ein Turner absolvieren muss, um Erfolg zu haben.

10.08.2016

Von KATJA STURM

Ein Mann klarer Worte, auch wenn diese nicht einmal bei den Kollegen gut ankommen: Andreas Bretschneider. Foto: dpa

Ein Mann klarer Worte, auch wenn diese nicht einmal bei den Kollegen gut ankommen: Andreas Bretschneider. Foto: dpa

Rio de Janeiro. Marcel Nguyen und Fabian Hambüchen schauten ein wenig betreten. Das olympische Teamfinale hatten die beiden Kunstturner und ihre Mannschaftskollegen zwar gut hinter sich gebracht und als Siebter beim Sieg Japans im Vergleich zum Vorkampf sogar einen Platz aufgeholt. Doch dass einer aus ihrer Riege, der Chemnitzer Andreas Bretschneider, zuvor noch einen irritierenden Post bei Facebook abgesetzt hatte, wollten die beiden Silbermedaillengewinner von London nicht weiter kommentieren. „Was er meint“, sagte Hambüchen nur, „unterstützen wir ja. Wie man es ausdrückt, ist jedermanns eigene Sache.“

Noch einmal war es darum gegangen, wie viel „Blut, Schweiß und Tränen“ die Gerätekünstler für ihren Sport opfern müssen und wie schnell der Traum platzen kann, der sie dabei antreibt. Dafür hatte Bretschneider einen drastischen Vergleich bemüht, das Leben eines Turners mit dem einer Hure in Beziehung gesetzt, die „nur allzu gern ihre Beine spreizt“. „Ich bin nun mal ein Mann klarer Worte“, erklärte er später. „Und wir alle wissen, wie brutal unser Sport ist.“ Dabei schwangen in der Stimme des 27-Jährigen gleichermaßen Trotz wie Frustration mit.

Wie gerne hätte Bretschneider in der Olympia-Arena von Rio die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der von ihm erfundene Doppelsalto mit Doppelschraube am Reck sollte ihm ins Finale am Königsgerät verhelfen, und dort wollte er das bislang schwierigste Element in den internationalen Wertungsvorschriften mit einer gestreckten Variante noch toppen. Doch in der Qualifikation bekam er die Stange nicht richtig in den Griff und flog somit an seinen Zielen vorbei.

Rummel um die deutsche Riege gab es trotzdem: Das Drama um Teamkollege Andreas Toba, der trotz seines Kreuzbandrisses noch am Pauschenpferd startete, schlug sich selbst in Medien nieder, die ansonsten mit Turnen wenig anfangen können. Auch nach dem Teamfinale, bei dem der Hannoveraner aufgrund der Anordnung der Mediziner im Innenraum dabei sein, aber nicht starten durfte, und seine Freunde eifrig anfeuerte und abklatschte, war der schwer getroffene deutsche Mehrkampfmeister ein sehr gefragter Mann. Und während der Rest der Riege mit starken Vorträgen glänzte, Nguyen sich am Barren ebenfalls einen Eintrag ins Erfinderbuch sicherte und Hambüchen eine überzeugende Generalprobe für das Reckfinale in der nächsten Woche absolvierte, war es allein wieder Bretschneider, der patzte und sich erneut bei seiner Eigenkreation vergriff.

Doch er will seinen Plan nicht aufgeben, klammert sich noch immer an die Hoffnung, bei diesen Spielen für einen besonderen Moment zu sorgen. Im Training hat der von seinen Mitstreitern gerne als verrückt charakterisierte Turner in einer Übung bereits sowohl den schon in den Wertungsvorschriften verankerten „Bretschneider I“ als auch den noch nicht unter seinem Namen laufenden Kovacs-Salto mit gestreckter Doppelschraube geschafft, und genau dies hat er für das heutige Mehrkampffinale vor. „Ich gehöre da ja eigentlich nicht hin“, sagt Bretschneider. Denn der zweite Platz in der Entscheidung der besten Allrounder war für Toba vorgesehen. Nur durch dessen Ausfall kam der derzeit von Schulterproblemen geplagte Weltcup-Sieger von Stuttgart an allen Geräten zum Einsatz. Dass er im Gesamtklassement nichts reißen wird, weil er dafür nicht fit und gut genug vorbereitet sei, sei ihm klar. „Aber ich werde die Plattform nutzen, um am Reck eine Show abzuziehen.“ Ein Schwierigkeitswert von 7,7 wäre dann möglich, zudem würde seine neueste Erfindung wohl als I-Element und „Bretschneider II“ in den Code de Pointage aufgenommen werden.

Während der Weltmeisterschaftsfünfte immer wieder betonte, er könne das, obwohl das Podiumtraining es anders aussehen ließ, standen Hambüchen und Nguyen wartend hinter ihm in der Mixed Zone. Beide hatten sich nach mehreren schweren Verletzungen im Vorkampf für die Wiedereinführung des alten Wertungssystems ausgesprochen, das nicht nach oben offen ist und damit die Turner weniger dazu animiert, Elemente im Wettkampf zu präsentieren, die sie noch nicht beherrschen. Sie hörten dem Vortrag ihres Teamkollegen nicht zu. Aber wenn, dann hätten sie sicher auch dazu eher betreten geschwiegen.