Unterhaltung

Blumenwalzer im Pflegeheim

Die Stuttgarter Stiftung „Live Music Now“ organisiert Konzerte mit Musikstudenten – Alltagsfreuden in Corona-Zeiten.

03.05.2021

Von LAURA LIBOSCHIK

Malgorzata Roclawska (links) und Joanna Jaworowska singen gemeinsam ein Duett von Gaetano Donizetti. Dabei schauspielern sie mit einer Flasche Sekt und bringen das Publikum im Pflegeheim in Bietigheim zum Lachen und Mitklatschen. Foto: Hanna Braun

Malgorzata Roclawska (links) und Joanna Jaworowska singen gemeinsam ein Duett von Gaetano Donizetti. Dabei schauspielern sie mit einer Flasche Sekt und bringen das Publikum im Pflegeheim in Bietigheim zum Lachen und Mitklatschen. Foto: Hanna Braun

Bietigheim-Bissingen. Im Anzug und in schicken Abendkleidern steigen die drei Stipendiaten von der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart aus einem kleinen roten Renault. Die beiden Opernsängerinnen Malgorzata Roclawska und Joanna Jaworowska und der Sänger und Pianist Juan Camilo Yepes treten im „Haus an der Metter“ in Bietigheim vor einem besonderen Publikum auf: Mehr als 50 Seniorinnen und Senioren sind in den Saal gekommen, auch im Rollstuhl oder mit ihren Pflegern, um den drei Studierenden eine abwechslungsreiche Stunde lang zu lauschen.

Senioren singen mit

Von Puccinis „O mio babbino caro“, Stücken von Lehár, Debussy und Strauss bis zu Tschaikowskys „Blumenwalzer“ – es ist viel geboten. Die Sängerinnen und der Pianist schauspielern bei den Operetten-Einlagen, das Publikum klatscht mit und applaudiert. Es wird viel gelacht im Saal. Als Roclawska Lehárs Lied der Giuditta „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ anstimmt, animiert das zum Mitsingen. Und zu Zwischenrufen: „Sehr schön!“, „toll!“.

Als ein anderes Mal drei spanische Musiker verschiedene Walzer gespielt hätten, sei sogar getanzt worden, erzählt die 81-jährige Ursula Mayer – sie betreut die Studierenden: „Es ist eine Win-Win-Situation“, erklärt sie: „Die Musiker treten vor Menschen auf, die nicht ins Theater können, die vielleicht noch nie in ihrem Leben ein Konzert besucht haben – und die Studenten wiederum können live vor Publikum üben.“ Die Studierenden seien im Lockdown auch finanziell sehr unter Druck: Die Auftritte fehlen, der Nebenjob ist weggebrochen, die Semestergebühr muss bezahlt werden. In Notfällen konnte „meine Theodor und Ursula Mayer Stiftung unterstützen“.

Zu normalen Zeiten werden viele soziale Einrichtungen bespielt: Seniorenheime, Krankenhäuser, Hospize, sogar Gefängnisse wie Stammheim. Das ermöglicht der Stuttgarter Verein „Live Music Now“, bei dem Ursula Mayer aus Bietigheim-Bissingen Gründungsmitglied ist. Die Organisation wurde ursprünglich vom weltberühmten Violinisten Yehudi Menuhin ins Leben gerufen. Der Tag des Konzerts in Bietigheim, der 22. April, ist zufällig auch der 105. Geburtstag der 1999 in Berlin gestorbenen Klassik-Legende.

Ehrenamtliche organisieren nun die kostenlosen Konzerte in den Einrichtungen. „Live Music Now“ veranstaltet Auditions für Musikstudierende, die Jury aus Professoren der Universität wählt junge Talente als Stipendiaten aus, die dann Konzerte geben und gefördert werden. Mayer stellt mit „ihren Kindern“, wie sie sagt, das Programm für die Heime zusammen. Musikvorschläge, die sie nicht kennt, hört sie sich auf Youtube an, oft präsentiert sie den Studierenden aber auch Stücke, die diese in ihrem jungen Alter nicht kennen – die aber in den Heimen Erinnerungen wecken. Viele Studierende kommen aus dem Ausland und lernen extra deutsche Texte.

Um aufzutreten, lassen sich die Musikerinnen und Musiker auf Corona testen, reisen mit dem Auto oder der Bahn an. „Sie bekommen nur ein kleines Honorar“, sagt Ursula Mayer. Die Spendengelder seien knapp. „Wir können nur ausgeben, was uns geschenkt wird.“

Malgorzata Roclawska ist schon länger dabei, hat einige Heimkonzerte gegeben. Nach ihrem Masterstudium in Operngesang ist sie in den letzten Wochen ihres Aufbaustudiums für Konzertgesang. Die Corona-Zeit, in der nur Online- und Einzelunterricht stattfindet, keine Konzerte erlaubt sind, „ist sehr schlimm für uns, aber schlimmer ist es für die Senioren hier“, sagt sie.

Im Juli macht Roclawska ihren Abschluss. Vergangenes Jahr belegte sie den zweiten Platz des Internationalen Wettbewerbs für Liedkunst der Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart. Das Publikum im Heim „schätzt die Auftritte sehr“, sagt die Sängerin, „es macht so viel Freude, und wir sind dankbar, uns präsentieren zu dürfen.“ Da stimmt auch Elke Nebel, Betreuerin und Organisatorin im „Haus an der Metter“, zu: „Seit dem Lockdown und den Besuchsbeschränkungen sind die Konzerte eine Abwechslung zum Alltag, die vielen die Freudentränen in die Augen treibt.“

Als Finale beim Auftritt in Bietigheim präsentieren die drei Talente das „Katzenduett“ von Gioacchino Rossini. Student Yepes am Piano übernimmt den Part eines bellenden Hundes. Das führt zu amüsiertem Gelächter im Publikum. Im Anschluss sagt die Betreuerin Elke Nebel aus dem Pflegeheim: „Da gehen alle gut gelaunt in den Nachmittag.“