Tiere

Bitte nicht stören

Hirsche, Wildschweine, Füchse – sie alle leben in den Wäldern. Die vielen Ausflügler, die im Winter durch den Forst laufen, setzen ihnen allerdings zu.

30.01.2021

Von EPD

Hirsche fahren im Winter ihren Puls herunter. Foto: Winfried Schaefer/epd

Hirsche fahren im Winter ihren Puls herunter. Foto: Winfried Schaefer/epd

Rottach-Egern/Frankfurt. Der Wald ist voll mit Menschen, findet Jenifer Calvi. Und das gefällt ihr gar nicht. Die Pressereferentin der Deutschen Wildtier Stiftung ist viel unterwegs in den niedersächsischen Wäldern. „Schon morgens um acht Uhr laufen die ersten Jogger mit Stirnlampen über die kleinen Wege, um neun Uhr kommen die Mountainbiker mit ihren dicken Profilreifen und danach die Hundehalter mit langen Schleppleinen.“

Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell findet es erst mal „erfreulich, wenn die Menschen die Natur als einen Ort wahrnehmen, der ihnen gut tut. So steigen hoffentlich Wertschätzung und Einsicht in die Schutzbedürftigkeit der Natur“.

Das Problem dabei: Menschen schrecken die Tiere auf. Und gerade die müssen im Winter mit ihrer Energie haushalten, wie Horst Langenhorst vom Nabu Hessen erklärt. „Jede Störung, die zu Fluchtverhalten führt, verringert ihre Überlebenschance. Das gilt für Säugetiere wie Rehe, Hirsche, Wildschweine und Füchse. Oder für den Eisvogel, der an Bächen auf Fischsuche ist.“

Hirsche und Rehe sind zwar an Menschen im Wald gewöhnt – zumindest tagsüber. Deshalb wagen sie sich auch nur in der Dämmerung aus dem Dickicht.

Wenn die Menschen im Corona-Winter nun aber auch in den Stunden zwischen Tag und Nacht den Wald für sich beanspruchen, wird das Zeitfenster für die Tiere immer kleiner. „Wenn der letzte Jogger um 22 Uhr unterwegs ist, oder im Harz die Schlittenfahrer mit Fackeln durch die Wälder ziehen, finden die Tiere keine Ruhe mehr“, sagt Jenifer Calvi.

Denn werden sie aufgeschreckt, gerieten sie in lebensgefährlichen Stress. „Die Hirsche haben in einen Energiesparmodus umgeschaltet“, erklärt Calvi. „Das Herz eines Hirsches schlägt nur noch 40 mal pro Minute statt 70 mal, Atmung und Puls werden deutlich langsamer. Die Körpertemperatur ist auf 15 Grad gesunken.“ Wenn ein Hirsch also abrupt flüchten müsse, etwa weil ein Mensch ihn erschreckt, koste ihn das Energie. Und die könne er nicht mehr wieder auffüllen, falls die Schneedecke zunehme.

Vorsicht vor Wildsau-Müttern

Calvi denkt auch an die Wildsauen, die ihre Frischlinge werfen: „Eine gestörte Bache am Waldrand ist nicht ganz ungefährlich.“ Sie appelliert: Bitte auf den Wegen bleiben und nur tagsüber in den Wald gehen.

Christine Miller, Wildtierbiologin in Rottach-Egern am Tegernsee und Vorsitzende des Vereins „Wildes Bayern“, sorgt sich vor allem um die Gämsen auf den verschneiten bayerischen Bergen. Diese würden auch schon auf der Vorwarnstufe der Roten Liste stehen. „Die Böcke haben sich während der Brunft im November verausgabt und sind danach auf die sonnige Südseite der Berge gezogen“, sagt sie. Eigentlich zum Ausruhen.

Dort sei aber jetzt die Schonzeit wegen eines forstlichen Projekts aufgehoben worden, und die Tiere flüchteten zurück auf die Nordhänge. So weit, so gut. Diese Hänge allerdings waren Anfang Januar noch Ziel von vielen Tagesausflüglern. „Jetzt leben die Böcke also zwischen einer südlichen Todeszone und einer nördlichen Erschöpfungszone“, sagt die Wildtierbiologin.

Raufußhühner würden ebenso unter Wanderern und Skitourengehern leiden. „Sie ducken sich, wenn sie gestört werden. Der Wanderer sieht sie erst, wenn sie wegfliegen“, erklärt Miller. epd