Leitartikel · Wohnen

Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit – ein Kommentar

Auf der Bedürfnispyramide des US-Psychologen Abraham Maslow rangiert das Wohnen an der Basis, als Grundbedürfnis, was in diesem Fall bedeutet: Es ist ein Fundament, ohne das Menschen überhaupt kein zufriedenes Leben führen können.

19.11.2021

Von Dominik Guggemos

Berlin. Die Wohnsituation in Deutschland ist, vor allem in den Städten, bekanntlich sehr angespannt. Ob es endlich gelingt, genug bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist die soziale Frage unserer Zeit. Die Große Koalition aus CDU und SPD hatte 1,5 Millionen neue Wohnungen versprochen, am Ende hat sie das Ziel um 300 000 verfehlt. Das darf der künftigen Ampel-Regierung nicht passieren.

Wie also wollen SPD, Grüne und FDP für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen? Am Donnerstag hat die Koalition laut Medienberichten beschlossen, Mieterhöhungen in Ballungsräumen künftig stärker zu deckeln; die Miete soll um höchstens acht Prozent in drei Jahren erhöht werden können statt wie bisher um 15. Das ist ein richtiger erster Schritt, stoppt aber nur vorübergehend die Blutung. Der Kern des Problems, die Verfügbarkeit von Wohnraum, lässt sich nur lösen, wenn mehr gebaut wird.

400 000 neue Wohnungen pro Jahr ist laut Sondierungspapier das Ziel der Ampel, das damit auf eine Legislaturperiode hochgerechnet über das nicht eingehaltene Versprechen der GroKo hinausgeht. 100 000 davon sollen durch die öffentliche Hand gefördert werden. Wie das gelingen soll? Durch serielles Bauen, Digitalisierung und Entbürokratisierung wird eine Kostensenkung angepeilt. Klingt durchaus sinnvoll, doch die Details sind entscheidend, insbesondere bei der Entbürokratisierung. Die Ampel-Regierung steht, wie ihre Vorgänger, allerdings vor dem Problem, dass das Baurecht in Deutschland Ländersache ist.

Doch der Bund kann über Gesetze und finanzielle Anreize Leitplanken setzen. Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie guter und schneller Wohnungsbau funktionieren kann. Dort legt der Gesetzgeber vor allem die Ziele fest; für die Erreichung bleibt ein großer Spielraum, der Innovation fördert. Neubauten sind dort von der Grunderwerbssteuer befreit, was die Kosten senkt – in vielen deutschen Bundesländern beträgt sie fünf bis sechs Prozent. Wenn eine Behörde in den Niederlanden nicht binnen acht Wochen auf einen Bauantrag reagiert, darf man einfach anfangen zu bauen. Das erhöht das Tempo und reduziert Bürokratie.

Derzeit geben über vier Millionen Mieterhaushalte in deutschen Großstädten rund ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens für die Miete aus, mehr als jeder Zehnte sogar über 50 Prozent. Dieses Geld fehlt zwangsläufig an anderer Stelle. Es wird kurzfristig weniger konsumiert und langfristig weniger in die Altersversorgung investiert. Dazu kommt, dass Neubauten im Vergleich zu unsanierten Altbauten fast 60 Prozent weniger Energie verbrauchen. Es ist also für den sozialen Zusammenhalt, die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Bekämpfung des Klimawandels unerlässlich, dass die Ampel im Wohnungsbau Wort hält.