Zu: „Der Geistes-Aristokrat auf dem Dorf“

Beurteilungen

Das Marbacher Literaturarchiv führt mit einem „Spuren“-Heft nach Gärtringen, wo der Kritiker und Autor Friedrich Sieburg von 1951 bis zu seinem Tod 1964 lebte („Der Geistes-Aristokrat auf dem Dorf“, 11. Januar, Regionale Kultur).

20.01.2018

Von Jens Rüggeberg, Tübingen

Ex-Botschafter Otto Abetz stand auf der „Heimkehrertafel“. Jetzt wissen wir: Einen Tübingen-
Bezug hatte auch sein Kulturreferent an der deutschen Botschaft im besetzten Paris, Botschaftsrat Sieburg.

Über ihn wird seit Jahrzehnten gestritten.

Der Verehrer: „Bei Kriegsausbruch wollte Sieburg unter keinen Umständen Journalist bleiben. Er emigrierte – ins Auswärtige Amt.“ (Joachim Kersten); Der Historiker: „Um ihr [der Informationsabteilung] das nötige Gewicht zu verleihen, hatte das AA [Auswärtige Amt] eine Reihe führender deutscher Journalisten verpflichtet, in ihre Dienste zu treten.“ (Peter Longerich); Die Journalistin: „... diente er sich den Nazis als Diplomat an.“ (TAGBLATT-Autorin Ulrike Pfeil).

Berüchtigt Sieburgs antisemitischer Heine-Aufsatz von 1942 – und seine Pariser Rede von 1941 „France d’hier et demain“. Zitat: „Wie unser Schicksal es uns lehrte, muss ein Volk unter Umständen eines Tages zwischen sich selbst und der Humanität wählen.“ Zeitgenössische Beurteilungen finden sich bei Lion Feuchtwanger, in dessen Roman „Exil“ Sieburg als nationalsozialistischer Publizist Erich Wiesener auftaucht, und in einem Geheimbericht von Carl Zuckmayer: „Hier handelt es sich um einen höchst komplizierten und fast tragischen Fall – den eines hochbegabten, brillanten, enorm befähigten, ehrgeizzerfressenen Menschen, der gegen seine Überzeugung und gewiss unter inneren Kämpfen nicht nur zum Nazischriftsteller, sondern zu einem ihrer gefährlichsten und erfolgreichsten Agenten und Promotor geworden ist.“