Ulm/Berlin

Manfred Spitzer: „Besser reduzierter Unterricht“

Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler und Psychiater am Universitätsklinikum Ulm, ist besorgt wegen der Schulschließungen. Er hält auch wenig von digitalem Unterricht.

21.01.2021

Von André Bochow

Psychiatrie-Professor Manfred Spitzer. Foto: Volkmar Könneke

Psychiatrie-Professor Manfred Spitzer. Foto: Volkmar Könneke

Was ist gegen digitalen Unterricht einzuwenden?

Manfred Spitzer Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien hat gezeigt, dass Computer schlechtere Lehrer sind als Lehrer – insbesondere für schwächere Schüler. Genau dies hat sich jetzt im Lockdown wieder gezeigt, sonst hätten wir ja keine Probleme.

Ist das Lernen am Computer nicht besser als gar kein Unterricht?

Eine große Studie an etwa 350 000 Schülern in Holland hat gezeigt, dass trotz sehr gutem Stand der Digitalisierung der Schulen dort und der seit Jahren bestehenden entsprechenden Erfahrungen die Schüler fast nichts gelernt haben. Das Argument, bei uns klappt es nur deshalb nicht, weil wir technisch oder fachlich noch nicht weit genug bei der Digitalisierung sind, trifft für die Niederlande nicht zu, schreiben die Autoren der Untersuchung ganz klar selber. Mich persönlich wundert das Ergebnis nicht.

Dass gemeinsames Lernen und Begegnungen zumindest online möglich sind, ist doch ein Segen. Oder?

Erstens läuft das Lernen nicht gut bis gar nicht über Computer, und zweitens sind medial vermittelte soziale Kontakte nicht das Gleiche wie gemeinschaftliche Unmittelbarkeit im direkten Kontakt. „Medium“ bedeutet „das Vermittelnde“, es meint die Abwesenheit von Unmittelbarkeit. Selbstverständlich lässt sich immer eine Geschichte konstruieren, in der Kontakte über Computer etwas Positives hatten. Coca Cola ist auch lebensrettend, wenn man auf einer einsamen Insel gerade verdurstet und eine Kiste voller Limonade angeschwemmt wird. Das bedeutet aber keineswegs, das Coca Cola gesund ist oder gar gesünder als Wasser.

Was sind die Alternativen?

Aus meiner Sicht wäre reduzierter Unterricht – etwa in kleinen Gruppen, zwei bis drei Mal für zwei Stunden jede Woche – weniger schädlich gewesen und hätte nach allem, was wir wissen, das Infektionsgeschehen nicht wesentlich verändert. Zumal auch kleine Kinder Masken tragen können, wie uns in Asien vorgemacht wird.