Tübingen · Erziehungswissenschaft

Besorgter, trauriger, einsamer

Tübinger Forscher untersuchten in einer internationalen Studie, welche Folgen der Lockdown für Kinder und Jugendliche hatte.

26.11.2020

Von ST

Seit der Pandemie geht es Kindern und Jugendlichen in Deutschland deutlich schlechter. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer internationalen Studie, die Wissenschaftler/innen der Universitäten von Tübingen und Luxemburg jetzt vorstellten. Nur 53 Prozent der Befragten waren danach mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden. Vor der Pandemie waren es mehr als 95 Prozent. Besonders beunruhigend ist aus Sicht der Forscher, dass mehr als die Hälfte der befragten deutschen Grundschulkinder während der Schulschließungen vor den Sommerferien fast nie Kontakt zu ihren Lehrpersonen hatte.

Für ihre Studie befragten Prof. Sascha Neumann vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen und Claudine Kirsch und Pascale Engel de Abreu von der Universität Luxemburg (Neumanns ehemaliger Hochschule) im Frühjahr mehr als 3000 Kinder und Jugendliche zu ihren Erfahrungen in der Corona-Zeit. Die Studie ergab, dass die Lebenszufriedenheit der Kinder und Jugendlichen während der Pandemie deutlich zurückging, am stärksten in Brasilien. Auch in Deutschland war der Rückgang stärker als etwa in Luxemburg und der Schweiz. In allen Ländern waren es Freunde und Personen aus dem familiären Umfeld, die den Befragten am meisten gefehlt haben. Angesichts der drastischen Abnahme der Lebenszufriedenheit um 42 Prozentpunkte in Deutschland zeigten sich die Forscher besorgt. „Auch im Vergleich zu früheren repräsentativen Erhebungen ist dies ein enormer Rückgang“, sagt Neumann.

Auch mit der Schule sind Kinder und Jugendliche seit Beginn der Pandemie weniger zufrieden: Hier sank die Zufriedenheit von 90 auf gut 50 Prozent.

Als besorgniserregend bezeichneten die Forschenden, dass 53 Prozent der befragten Grundschulkinder in Deutschland angaben, während der Zeit der Schulschließung fast nie Kontakt zu ihren Lehrpersonen gehabt zu haben. In der Schweiz liegt der Wert bei etwa 18 Prozent. Auch bei den Befragten von weiterführenden Schulen aus Deutschland gaben mehr als 22 Prozent an, fast nie in direktem Kontakt zu Lehrpersonen gewesen zu sein. „Der Aufgabe, wie Lehrpersonen den Kontakt aufrechterhalten, wird man sich stellen müssen, wenn die Schulen wieder zum Wechselunterricht zurückkehren und auch bei Schülerinnen und Schülern in Quarantäne“, sagt Neumann.

Die Studie zeigt weitere Unterschiede beim subjektiven Wohlbefinden: Im Vergleich zu Jungen beschrieben sich Mädchen öfter als besorgt, traurig oder einsam. Ein ähnliches Muster zeigt sich beim Vergleich von Kindern mit eher bildungsnahem und eher bildungsfernem Familienhintergrund: Letztere berichten häufiger über Sorgen und negative Gefühle.

Es zeigte sich auch, dass Kinder und Jugendliche, die Angst haben wegen Corona zu erkranken, eher negative Gefühle entwickeln. Kinder und Jugendliche, die ihre eigene Freiheit während der Pandemie als zufriedenstellend erleben, waren dagegen mit ihrem Leben insgesamt zufriedener. Außerdem fühlen sich Kinder, die sich positiv darüber äußern, wie Erwachsene ihnen zuhören, insgesamt sicherer und auch zuversichtlicher im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit. „Es ist nicht ein einzelner Faktor, der die Unterschiede im subjektiven Wohlbefinden erklärt“, sagt Neumann. „Wichtig ist aber, dass wir in unserer Studie auch solche gefunden haben, die durch das Verhalten von Eltern oder Lehrpersonen beeinflussbar sind.“

Was die Forscher wissen wollten

Die Studie fand von Mai bis Juli dieses Jahres statt. Neben der Lebenszufriedenheit und den Erfahrungen mit „Homeschooling“ erkundigten sich die Forschenden auch nach Veränderungen im Alltag sowie den Gefühlen und Sorgen junger Menschen in der Corona-Zeit. Die Studie orientierte sich am Konzept des subjektiven Wohlbefindens. Zur Beteiligung aufgerufen wurde über soziale Medien sowie Tageszeitungen. Für rund zwei Drittel der Befragten aus Deutschland waren die Schulen bei Teilnahme noch geschlossen. Insgesamt füllten über 3000 Kinder und Jugendliche den Fragebogen aus. Die Befragten kamen aus Brasilien, Deutschland, Luxemburg und der Schweiz und waren im Alter zwischen 6 und 16 Jahren.

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Erstellt:
26.11.2020, 22:51 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 53sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2020, 22:51 Uhr

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