Tübingen · Gast der Woche

Bernd Kohlhepp: Von Blümchen, die zu Bäumen werden

Was bedeutet Kunst? Was ist sie der Gesellschaft wert? Der Comedian und Schauspieler Bernd Kohlhepp spricht über sein Corona-Jahr, Kulturförderung und die Tübinger Kunstszene.

02.01.2021

Von Lisa Maria Sporrer

Künstler müssen sich immer neu erfinden, sagt Bernd Kohlhepp. Er hat das schon mehrmals getan. Bild: Anne Faden

Künstler müssen sich immer neu erfinden, sagt Bernd Kohlhepp. Er hat das schon mehrmals getan. Bild: Anne Faden

Es waren goldene Zeiten für die Kunst, damals, Tübingen, 1982. Bernd Kohlhepp, heute untrennbar verbunden mit seiner Kunstfigur Hämmerle, machte gerade sein Abitur, traf Klaus Birk, mit dem er als Clown-Duo erste Erfolge feiern sollte. Die 80er-Jahre, das war eine Zeit, in der plötzlich alles möglich war, sagt Kohlhepp: „Großartig war das. Jede Kneipe hat Kulturveranstaltungen gemacht. In jeder Doppelgarage, die im Südwesten steht, haben wir gespielt.“

Unglaublich, sagt er, damals die Bereitschaft, Kulturimpulse aufzunehmen. „Ich dachte, das könnte immer so weitergehen.“ Und heute? Heute sehe das anders aus. Und das habe erstmal nichts mit Corona zu tun. Das vergangene Jahr sieht Kohlhepp, der von sich sagt, immer positiv zu denken, sogar eher als Chance.

Ja, das vergangene Jahr, das war für viele Künstler nicht leicht, auch für Kohlhepp nicht, der von seinem Bruder erzählt, der ihm angeboten habe, seine Miete zu übernehmen, was er natürlich nicht annehmen werde, weil er sich immer sage: „Hey, weiter, dann geht das schon.“ Seine Auftritte habe er nie gezählt. Aber seine Absagen. Bei einhundert hat er aufgehört. Das war im Oktober. Dabei habe er in diesem Jahr so viel gearbeitet wie noch nie. Beim ersten Lockdown hat er sich in seinen Wohnwagen gesetzt und „irgendwas gemacht“, 40 Tage Quarantäne, 40 Clips. Ein Improvisationsformat, ein Projekt: Fragen sie Herrn Hämmerle.

Sein 15-jähriger Sohn hat Kohlhepp die wichtigsten Begriffe für den Lockdown erklärt: Streaming, Fundmate, Abonnenten, Klicks, Teilen, Likes. Kohlhepp denkt an seine Fans. Sein Sohn sagt, es muss alles auf Wachstum ausgelegt sein. „Dass ich das furchtbar finde, lass ich jetzt erstmal nicht zu.“ Neue Wege der Kommunikation seien eben auch neue Wege, die die Kunst gehen müsse.

An Rückschlägen ist Kohlhepp in seinem Berufsleben schon früher nicht vorbeigekommen. Nach seiner Kabarettzeit mit Klaus Birk und „Vis a Vis“ blieben die Zuschauer weg. „Es kamen keine 200 mehr, es kamen 20.“ Er machte Kasperltheater, 1992, 1993, und er sagt über diese Zeit: „Die ganz dunklen Jahre gab es eben auch. Wo man mit dem Kasperltheater losgezogen ist und bei Kindergeburtstagen gespielt hat. Das Kasperltheater habe ich immer noch im Keller stehen. Das ist meine Lebensversicherung, denn es zeigt mir: Ich bin schon einmal durchgekommen, da komme ich noch mal durch.“

Kohlhepp sang Kinderlieder, brachte CDs heraus, Bücher, aber etwas fehlte ihm. „Natürlich der andere Teil. Deshalb habe ich Herrn Hämmerle erfunden“ - die Figur des schwäbischen Kantkopfes aus Bempflingen. Mit Herrn Hämmerle kam Kohlhepps zweiter Erfolg, aber Kohlhepp fühlte sich wie ein Scharlatan. „Ich hatte immer Angst, dass die mich in Bempflingen mal engagieren. Ich hatte immer das Gefühl, die haben mich nicht richtig verstanden, sie verstehen die Anführungsstriche nicht.“ Zu ernst nahmen viele die Kunstfigur Hämmerle. Kohlhepp aber sah sich mehr als Künstler, nicht als Komiker.

Aber Hämmerle verselbständigte sich mehr und mehr. Kohlhepp brachte ihn in Schwierigkeiten, ließ ihn in einer Big Band singen, suchte in Venedig mit ihm nach seinem Vater und wollte ihn fast hops gehen lassen, den Hut wegnehmen. „Ich darf Herrn Hämmerle jetzt aber nicht mehr wegnehmen, er gehört ja nicht mehr nur mir. Ich habe meiner Meinung nach da eine Verantwortung mit dieser Figur übernommen.“

Aber er wollte sich nicht auf Hämmerle beschränken. Ab 2000 begann er mit Eckard Grauer alias Leibssle für den SWR Sendungen zu entwickeln, schrieb mit dem Ravensburger Stand-Up-Künstler Uli Boettcher Kabarett-Stücke und machte 23 Jahre lang leidenschaftlich beim Tübinger Theatersport mit, spielte mit Axel Krause Schiller und Faust im Zimmertheater.

Solche Institutionen werden bleiben, glaubt, Kohlhepp – auch nach Corona. „Die große Kultur, die staatliche Kultur, die wird auch nicht untergehen. Die werden als Haus, als Idee, als Ballett, als Oper, als Landestheater weiter bestehen.“ Es sei das Drumherum, was zu verschwinden drohe. „Es sind diese Blümchen, diese abseitige Kultur, diese Nischensachen, die man entwickeln kann, die langsam wachsen und die vielleicht aufblühen und zum Baum werden. Um die müssen wir uns Sorgen manchen.“ Die Kulturszene von damals gebe es in Tübingen schon lange nicht mehr. Immer noch mehr als woanders, weil eben so viele Künstler in Tübingen wohnen. „Aber es ist irgendwie verstopft. Früher hat die Stadtbücherei Veranstaltungen gemacht. Es gab für diese Institutionen Geld, die konnten das verteilen und Kultur fördern. Und jetzt? Wen gibt’s jetzt? Den Club Voltaire so ein bisschen. Das Landestheater, das Zimmertheater.“

Ganz unaufgeregt, mit Lachfalten, einem klugen und bescheidenen Humor sagt Kohlhepp, es gehe nicht um die Wunden des Jahres, sondern darum, wie es weitergehen kann. „Der Künstler muss sich positionieren und sich fragen: Für was gibt’s mich eigentlich? Was kann ich beitragen?“ Und was bedeute eigentlich Kunst? Das müsse jetzt noch mal ganz neu überlegt werden. „Der Kunstbegriff leidet ja unter der Unterhaltung. Die Unterhaltung schiebt die Kunst ein bisschen weg. Die Gesellschaft muss sich überlegen: Warum brauchen wir Kunst? Oder warum brauchen wir Künstler, warum Humor, warum Komiker und was ist uns das wert? Ich weiß noch gar nicht, was übrigbleibt nach diesem Gewitter. Viele Kleine wird’s dann nicht mehr geben.“

Aber die Gesellschaft positioniere sich auch durch die Spendenbereitschaft. Die Stuttgarter Künstlersoforthilfe. Von dem Weihnachtspendenprojekt für Kunst und Kultur des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs weiß Kohlhepp zu wenig. Dass man sich dort auch als kleiner Künstler mit Projektideen bewerben kann, wird dann aber auch für ihn attraktiv. Nach den ganzen Streams, dem Weihnachtsprogramm, etlichen Clips, der Reimpatrouille und zahlreichen Stunden vor dem Computer will Kohlhepp auch künftig mit seinem Wohnwagen neue Wege gehen. Für Interviews mit anderen Künstlern in die Schweiz, nach Holland fahren. Vielleicht das Hämmerle-Leibssle-Projekt, das der SWR nicht mehr produziert, selber machen.

Künstler müssten sich immer neu erfinden, sagt er. Das sei vielleicht die Lehre aus dem vergangenen Jahr. „Dieses Jahr lehrt uns ein bisschen Demut“, sagt Kohlhepp. Aber: „Demut und Dankbarkeit liegen ganz nah beieinander.“

Bernd Kohlhepp: Von Blümchen, die zu Bäumen werden

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1962 in Zofingen (Schweiz) geboren

1964 Umzug nach Tübingen

1981 Abitur

1982-1985 Studium der Empirischen Kulturwissenschaften

1983 gründete mit Klaus Birk die Kabarettgruppe „Vis a vis“. Erster (bezahlter) Auftritt in der Hechinger Lichtstube. Gage: 300 Mark

Kohlhepp war Mitbegründer des „Theater mit der 13“ und begann, Kinderlieder und Geschichten zu schreiben

Seit 1997 ist Kohlhepp vorwiegend solo unterwegs (als Hämmerle)

Ab 2000 begann er mit Eckhard Grauer alias Leibssle für den SWR Sendungen zu entwickeln, schrieb außerdem Kabarett-Stücke, startete 2008 ein Musikkabarettprogramm und vieles weitere