Stuttgart 21

Bergfest im Talkessel

Mit der 14. Kelchstütze ist beim Bau des charakteristischen Bahnhofsdachs die Halbzeit erreicht. Zur Feier kommt prominenter Besuch auf die Baustelle.

01.03.2021

Von David Nau

Der Architekt und sein Entwurf: Christoph Ingenhoven unter einer fertigen Kelchstütze des Stuttgarter Tiefbahnhofs. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Der Architekt und sein Entwurf: Christoph Ingenhoven unter einer fertigen Kelchstütze des Stuttgarter Tiefbahnhofs. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Zwei große rote Kranarme ragen in den sonnigen Himmel. Aus der Baugrube mitten im Herzen der Stuttgarter Innenstadt pumpen sie seit sechs Uhr morgens tonnenweise Beton etwa 12 Meter in die Höhe. Oben, auf einem Geflecht aus Stahl, laufen zwei Dutzend Arbeiter hin und her und sorgen dafür, dass der Beton gleichmäßig in die Schalung fließt. An diesem Samstag wird im künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof die 14. von 28 Kelchstützen betoniert, die der Bahnhofshalle später ihr charakteristisches Gesicht geben werden.

Von einer bereits fertigen Kelchstütze nebenan schaut der Mann dem Treiben der Arbeiter zu, der sich die außergewöhnliche Form der Kelchstützen einfallen lassen hat: Architekt Christoph Ingenhoven. Der Düsseldorfer ist am Samstag extra nach Stuttgart gekommen, um mit weiteren prominenten Gästen das zu feiern, was die Bahn „Bergfest“ nennt: die Halbzeit beim Bau der Kelchstützen für das Bahnhofsdach. Von einer „besonderen Baustelle“ spricht Ingenhoven und erinnert sich daran, als er vor der Betonage des ersten Kelches zum ersten Mal sein Werk in der Realität sah: „Da ist uns der Atem gestockt, und uns wurde klar, was wir den Arbeitern und Ingenieuren mit dieser Konstruktion abverlangen.“

In der Tat ist die Konstruktion der Kelchstützen keine einfache Sache, denn jede einzelne ist unterschiedlich. Bevor die Stützen betoniert werden können, schaffen sogenannte Stahlflechter aus rund 22?000 einzelnen und individuell ausgemessenen Stahlstreben ein Gerüst, in das dann die Ladung von 100 Betonmischern, rund 700 Kubikmeter, gegossen werden. „Die Bauleiter waren nicht immer glücklich über uns“, gibt Ingenhoven offen zu. Dafür bekomme Stuttgart einen neuen Bahnhof, der die „Gewichte in der Stadt“ verändere, eine neue Mitte schaffe.

Erster Baustellenbesuch als Stuttgarter OB: Frank Nopper. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Erster Baustellenbesuch als Stuttgarter OB: Frank Nopper. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Zum ersten Mal auf die Baustelle im Talkessel ist auch der neue Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) gekommen, der offenbar das Zeichen setzen möchte, dass mit ihm wieder ein Fan von Stuttgart 21 auf dem Chefsessel im Rathaus sitzt. Er schwärmt von den Kelchstützen, die „Baukörper der ganz besonderen Art“ seien. „Jede für sich ist ein kleines architektonisches Meisterwerk.“ Und er kommt nicht umhin, an der Stelle, wo später der Manfred-Rommel-Platz entstehen soll, seinen Vor-Vor-Vorgänger im Amt zu zitieren: „Was eine Großstadt munter hält, das ist und bleibt die Unterwelt.“

Die wird aus städtischer Sicht in Stuttgart allerdings eher als Mittel zum Zweck gesehen: Durch die Tieferlegung des Hauptbahnhofs werden große Flächen in Innenstadtlage frei. Auf mehr als 150 Fußballfeldern soll ein neues Stadtviertel entstehen. Das Rosensteinquartier soll 6000 Wohnungen für 10?000 Bürger bieten. „Stuttgart 21 ist eine große städtebauliche Chance“, sagt Nopper, der von davon so begeistert ist, dass er gleich selbst auf die Kelchstütze steigt und einige Minuten beim Verdichten des Betons mithilft. Eine Geste, die bei seinem Amtsvorgänger Fritz Kuhn (Grüne) undenkbar gewesen wäre.

Weniger begeistert ist der Oberbürgermeister von einer Ergänzungsstation, die Grüne und verschiedene Verkehrsverbände fordern. „Da will ich niemandem Hoffnungen machen“, sagt der OB, schließlich könne man das Rosensteinviertel dann nicht direkt angehen. Offen ist er dagegen für die Idee, die Gäubahn künftig durch einen weiteren Tunnel unter den Fildern hindurch zum Flughafen zu führen. „Gegen eine bessere Anbindung des Flughafens spricht nichts“, sagt Nopper.

In der Baugrube im Herzen der Landeshauptstadt gehen die Arbeiten unvermindert weiter. Die 15. Kelchstütze soll noch im Frühjahr gegossen werden, die Inbetriebnahme wollen die Verantwortlichen weiter Ende 2025 schaffen. Das sei so glaubhaft, dass es inzwischen sogar Landesverkehrsminister Winfried Hermann glaube, fügt OB Nopper süffisant an. Auch Olaf Drescher, Chef der Projektgesellschaft, ist überzeugt, dass das klappt: „Der Weg bergauf ist immer schwieriger als der Weg bergab.“

Architekt Christoph Ingenhoven hofft, dass sich die Stuttgarter immer mehr mit dem neuen Bahnhof anfreunden, je mehr davon zu sehen ist. „Geld in dieser Dimension ausgeben und keinen Spaß haben, ist keine gute Idee“, sagte er.

700 Kubikmeter Beton fließen in eine einzige Kelchstütze des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Das entspricht der Ladung von rund 100 Betonmischern. 23 der 28 Stützen bekommen ein großes Glasdach, sodass die Bahnhofshalle tagsüber von natürlichem Licht erhellt wird.

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Erstellt:
01.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 01.03.2021, 06:00 Uhr

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