Leben wie anno dazumal

Beim Römerfest in Stein kämpften Römer gegen Alemannen und Kelten

Legionäre, Alemannen, Priesterinnen: Zum Römerfest in Hechingen-Stein kamen sie wieder aus allen Himmelsrichtungen. Nur den Zuschauern waren die Rekordtemperaturen offenbar ein bisschen zu hoch.

28.08.2016

Von Michael Sturm

Hechingen-Stein. Der Einmarsch der Römer, Alemannen und Kelten war noch friedlich – knapp eine halbe Stunde später aber ging es rund um die Villa Rustica in Hechingen-Stein zur Sache: Auf dem mit Gras bewachsenen Areal flogen Pfeile aus einem Katapult in Richtung der römischen Truppe. Die stellte sich, um das gegnerische Geschütz zu erobern, zunächst so auf, wie man es aus den Asterix-Comics kennt: in der Schildkröten-Taktik. Die Römer bildeten mit ihren Schildern einen Panzer, der sie vor den gegnerischen Angriffen schützte. Zunächst rückten sie Fuß für Fuß vor, bis die schildlosen, nur mit Schwertern bewehrten Alemannen einen Ausfall machten. Die römische Formation löste sich auf: Es entspann sich ein Kampf Mann gegen Mann.

So ungefähr könnte es vor ungefähr 1800 Jahren zugegangen sein. In der Schau-Schlacht waren die Hiebe mit den Holzschwertern nicht gerade von Pappe – die Darsteller rangen wirklich miteinander. „Der Römerhaufen, der uns da über den Weg lief, war leider stärker“, gab der Anführer der Barbaren, der Alemanne Martin der Cannstatter vom Volk der Gens Lentiensis, anschließend zu.

Hinter „Martin dem Cannstatter“ verbirgt sich der Rottenburger Martin Reck. Seit 15 Jahren ist er fester Teil dieser Art leibhaftiger Rollenspiele. Indirekt pflegt er das Hobby seit gut 60 Jahren: „Als Kind wollte ich einen Schild und einen Helm. Die habe ich bei einem Besuch im Stuttgarter Schloss gesehen. Heute habe ich beides.“ Im Laufe seines Lebens bastelte sich Reck seine Ausrüstung zusammen: Ob Messer, Schwerter, Hosen, Zelt, Lanzen oder Pfeile – „alles selbst gemacht.“ Einzelteile, etwa die Spata (das Schwert) seien bis zu 8000 Euro wert – aber unverkäuflich. „Man muss sich an die archäologischen Befunde halten“, sagt Reck. Fantasy-Ausrüstungen dagegen „gehen gar nicht!“

Auch auf der Gegenseite waren Rollenspieler am Werk, die ganz in der Szenerie aufgingen: Die Legio I Italia, mit Sitz in Venezien, eine Gruppe experimenteller Archäologen, vor 21 Jahren gegründet. „Zwischen Mai und September reisen wir in ganz Europa herum, in allen Ländern, wo damals die Römer waren“, lässt ihr Anführer, Ober-Zenturio Claudius Virginius Adriaticus alias Gianluca Veronese, übersetzen. An diesem heißen Tag schwitzten sie in ihren Uniformen aus dem Zeitalter des Kaiserreichs. Die Gruppe werde von Zeit zu Zeit vom italienischen Fernsehen angefordert: um Kriegsszenen aus jener Zeit darzustellen.

Einen Koch haben sie auch dabei. Für Legionäre gibt es Gerichte aus Bohnen, Körnern, Mehl, Gemüse und Obst – aber nur wenig Fleisch: „Die Armee konnte kein Vieh mit sich führen“, erklärt Veronese. Die Gruppe besitzt außerdem einen Handwerker, der die Waffen schmiedet sowie Ringe und andere Metallstücke herstellt.

Auch Freizeit-Legionär Filippo Ronchetti orientiert sich an Überlieferungen: etwa an den Skulpturen, die in Rom zu sehen sind. Dennoch kürzte er sein Kettenhemd an Hüfte und Schultern und versah es an den Enden mit Leder: Das sei nicht original, aber besser zu tragen. Einmal legte er sich ein gelbes Tuch um, um das Wundscheuern der Haut zu verhindern. Kurz danach erfuhr er, dass diese Farbe in der Antike nur von Frauen getragen wurde – und färbte das Tuch um.

Die Ausrüstung der Legionäre wiegt einiges – bis zu 30 Kilo lasten auf den Schultern der Soldaten. Ronchetti wirkt in natura nicht so, als könnte er das stemmen. „Ich bin ein typischer Italiener“, sagt er lachend: Tatsächlich sei er vor fünf Jahren, als er mit diesem Hobby begann, noch nicht in der Lage gewesen, ein Schwert zu halten: „Es war so schwer!“

Gerd Schollian, ehemals Bürgermeister von Stein und Entdecker der Villa Rustica, moderierte das geschehen mit viel Humor. Allerdings bekümmerte ihn die geringe Zuschaueranzahl am Samstag: Nur knapp 300 Zuschauer fanden in der Höllenhitze den Weg zum 21. Römerfest. Zum ersten Fest, 1991, seien an beiden Tagen zusammen 30 000 Zuschauer dagewesen. Seinerzeit hatte Schollian noch Rüstungen aus dem Fundes der Bavaria Filmstudios besorgt. Die seien jedoch nicht besonders authentisch gewesen.

Dass die Kämpfe quasi auf der Terrasse der Villa Rustica ausgetragen werden, ist historisch nicht falsch, sagt Schollian: Die Gebäude waren befestige Wohnhäuser, in denen oft eine Privatmiliz angestellt war. Die Villa Rustica in Stein sei zudem noch lange nicht voll erschlossen. Man wisse, so Schollian, dass der Bau um 230 nach Christus verkleinert worden sei. „Wir graben gerade an der nördlichen Umfassungsmauer“, berichtet er: „Wir sind auf der Spur eines Eckturms.“

Weitere Kämpfe während des Römerfestes stehen an: Am Limes wird nach einer Geiselnahme ein Gefangener ausgetauscht. Danach: die Gladiatorenkämpfe. Gladiatorin Ester Nicoletti holt sich eine blutige Nase – ihre Maske war von einem Hieb getroffen worden. Bei Schuster, Schmied und Weberin, die Handwerkskunst zeigen, halten sich derweil weniger Gäste auf. Der mit Trauben behängte Bacchus-Darsteller indes erregt viel Aufmerksamkeit.

Römerfest-Besucherin Anna Schulz aus Hechingen trägt zufällig ein Kleid, in dem sie mit den Apollo-Priesterinnen verwechselt werden könnte. „Das war nicht geplant“, sagt sie. Ob sie dennoch mittanzen wolle? Dafür sei sie zu schüchtern.

Die Gruppe der Frauen, die an diesem Tag wirklich als Priesterinnen für den von Griechen und Römern gleichermaßen verehrten Gott Apollo tanzen, stellten vor zwei Jahren beim letzten Römerfest noch Medusen dar. Bei der Kleiderwahl sei man freier als die Soldaten, sagt Priesterin Laura Laub, und dieses Jahr mit der Rolle sehr zufrieden: „Ich fühle mich sehr edel!“