Interview · Songwriter

Clueso: „Beim Reimen hört der Spaß auf?“

Sieben neue Singles hat Clueso bereits erfolgreich veröffentlicht, jetzt folgt der dazugehörige Tonträger mit dem Titel „Album“. Der Musiker schlägt dabei neue Wege ein.

28.09.2021

Von Udo Eberl

Ganz entspannt nahm Clueso sein aktuelles Album auf. Foto: Christoph Koestlin

Ganz entspannt nahm Clueso sein aktuelles Album auf. Foto: Christoph Koestlin

Thomas Hübner aus Erfurt, besser als Clueso bekannt, sieht man seine 41 Jahre nicht an. Seinem aktuellen Tonträger hat der Rapper, der zum Songwriter wurde, den Titel „Album“ gegeben. Selbst im Hit-Format schafft Clueso den Raum für seine melancholische Färbung, die bereits Songs von Udo Lindenberg, Capital Bra oder den Fantastischen Vier mehr als nur bereichert hat.

Wie sind Sie Ihr neues Album angegangen?

Clueso: Ich habe mit Synthesizern und Autotune-Effekten herumprobiert, aber schnell gemerkt, dass meine Stimme nicht zu sehr verschwinden darf und manchmal wie in „Alles zu seiner Zeit“ auch unverfälscht klingen muss. Mein Ziel: ein Album zu machen mit Melodien, die hängenbleiben, und Liedern, die sofort sicher abgehen und ins Ohr wollen. Genau die Art von Popmusik, die gerade angesagt ist. Mit dieser Idee bin ich zu sehr unterschiedlichen Produzenten gegangen.

Ein bewusster Weg, um andere, neue Einflüsse zuzulassen?

Wirklich gute Produzenten sind wie Schneider, die dir einen neuen Anzug anpassen. Ihr Ziel ist dein bester Song, weniger gute Produzenten machen ihren besten Song. Und dann gibt es noch diejenigen, die einen Track realisieren und ich baue darauf einen Song. Auf dem Weg zum fertigen Album habe ich all das kennengelernt, in allen Facetten, aber vor allem mit Produzenten, die nicht das machen, was gerade im Deutschpop zu hören ist.

Was war der Kern der Veränderung?

Ich wurde zu einer Einfachheit überredet, die mir manchmal wirklich schwerfällt, die aber etwa im Refrain durchaus förderlich sein kann. Karo Schrader, mit der ich beim Texten zusammengearbeitet habe, meinte: Lass einfach mal dieses ewige Beweisen weg und singe genau das, was du auch sagen würdest. Der Ansatz ist zwar eher amerikanisch, hat sich aber keineswegs wie ein Verrat an mir selbst angefühlt. Ein gutes Beispiel ist der Song „Es hört nie auf“. Einfach einmal Text-Stellen wiederholen. Immer wieder. Und es fühlt und hört sich gut an. Die meist kurzen, oft flotten Songs des Albums verbindet der so genannte Flow, den man vom HipHop oder R'n'B kennt.

Die Herangehensweise war also ganz anders?

Genau. Ich ging ins Studio, die Themen waren völlig unklar. Die Grundlagen für die Songs waren meistens die Vorgespräche mit meinen Feature-Gästen und den jeweiligen Produzenten. Da steckte unheimlich viel Energie drin, und das spiegelt sich später in den Beats wider. Am Ende hatte ich so viele schnelle Songs, dass ich es nur noch so laufen lassen konnte. Allerdings wollte ich mit „Alles zu seiner Zeit“ eine klassische Ballade als Kontrapunkt einbauen, die aus dem Rahmen fällt. Auf diese Eingebung musste ich lange warten. Es musste eine Direktheit erreicht werden wie bei „Der Weg“ von Grönemeyer, die den Zuhörer fast erschreckt.

Die Clueso-Melancholie blitzt bei allem Pop aber noch immer durch.?

Was natürlich auch an den Produzenten liegt. Die einen sagten: Mit dir kann ich Dur-Songs machen, die trotzdem nach Moll klingen. Andere meinten: Mit dir kann man Moll-Songs produzieren, die nicht triefen und trotzdem immer klingen, als würde draußen die Sonne scheinen.

Ist dieses Album nun ein wirklicher Neuanfang?

Stimmt genau. Der Titel meines vorletzten Albums „Neuanfang“ klang zwar sehr proklamatisch, war dann aber eher thematisch eine Art Befreiung und doch nur die Katharsis für das, was jetzt geschehen musste. Umso mehr feiere ich das aktuelle Album. Bei einem Spaziergang mit Benjamin Stuckrad-Barre, der einer meiner besten Freunde ist und immer ein ganzes Feuerwerk an Gedanken zündet, befand auch er, dass ich am Ende eines Songwriting-Zyklus ein Volltreffer-Album im 2.0-Sound geschrieben habe. Deshalb empfahl er auch: Nenne es doch ganz schlicht und einfach Album.

Soll der Titel „Album“ auch eine Liebeserklärung für die Veröffentlichungsform sein??

Ich feiere Künstlerinnen und Künstler, die Alben herausbringen. Aber ich muss auch zugeben, dass ich unterschätzt habe, welche Wirkung es haben kann, sich mit der Veröffentlichung mehrerer Singles zum Album hinzuarbeiten. Es ist fast schon traurig, dass ich 20 Jahre dafür gebraucht habe, das zu erkennen. Man ist viel näher dran, wenn man einen Song raushauen kann, wenn er noch ganz heiß aus dem Studio kommt. Früher haben wir zwei Jahre an einem Album gearbeitet und bei der Veröffentlichung war so mancher Song gefühlt bereits alt. Dann galt es noch eine erste Single zu finden. Während dem Studioprozess hat man als Künstler ja wirklich Stress wie so ein Atomphysiker, der Angst hat, dass ihm das ganze Ding um die Ohren fliegt. Das hatte ich jetzt alles nicht. Alles lief völlig entspannt. Und man darf ja nicht vergessen, die Beatles haben das so auch sehr erfolgreich praktiziert.

Geben die gewaltigen Zugriffszahlen für die Songs im Netz Rückenwind vor einer Albumveröffentlichung??

Das hat meinem Ego ohne Frage sehr gutgetan. Die Frage ist natürlich, ob das Album jemals fertig geworden wäre, wenn sich kein Mensch für die Songs interessiert hätte. Aber ich hatte natürlich auch das Glück, auf tolle Feature-Gäste zählen zu können. Andreas Bourani etwa hatte lange nichts mehr veröffentlicht und wäre eigentlich selbst dran gewesen, sein nächstes großes Ding zu machen. Das hat er jetzt mit „Willkommen zurück“ und mir gemeinsam verwirklicht, was ein sehr großes Kompliment ist.

Wie wichtig ist es, sich dem HipHop anzunähern, um im Web überhaupt wahrgenommen zu werden?

Erfolg ist so sexy, dass man ganz automatisch in Richtung HipHop schaut und sich überlegt, was man in der Richtung machen kann. Und manchmal kommt es wie bei der Zusammenarbeit mit Capital Bra einfach auf einen zu. So etwas kann man sich nicht ausdenken. Ich persönlich bin natürlich froh, dass es eine Ecke ist, aus der ich sowieso komme. Ich war sehr lange in der HipHop-Szene unterwegs und weiß genau wie punkig Rapper ticken. Vier Stunden zu spät und dann mit einem Koch im Studio, das ist ganz normal. Sie machen vieles, was man vielleicht nicht machen sollte. Wenn du aber beim Reimen Pool auf cool reimst, das geht dann wirklich gar nicht. Da hört der Spaß auf. Das spornt beim Texten auch an. ??

Wie genau?

Ich hatte das fast schon abgelegt, beim Texten auf Doppelreime und Geschmeidigkeit zu achten. Nun bin ich wieder über Reimen spazieren gegangen. Beim Gedichte schreiben landet man manchmal bei einem anderen Sinn als beim Songwriting, bei dem man sich die Worte so hinbiegt, wie man es gerade braucht. Wenn man hingegen mit Wörtern arbeitet, die einem wichtig und die vielleicht auch sperrig sind, ist bereits vorher klar, es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Reimmöglichkeiten, besonders wenn einiges bereits verbraucht ist. Genau deshalb sind in diesem Album viele kleine Nuggets, sprachliche Goldstückchen, versteckt.

Ist dieses Album nun Ihre bisher aktuellste musikalische Momentaufnahme?

Es ist wahnsinnig im Jetzt. Ich habe mich darin auch gefunden. Es besteht natürlich immer auch die Gefahr, dass die Songs zu sehr den Sound einer ganz bestimmten Zeit abbilden. Aber ich trage gerade solch ein Feuer in mir, ich habe überhaupt keine Angst vor dem weißen Blatt Papier. Ich könnte schon morgen wieder ins Studio gehen, denn ich bin so richtig warmgelaufen.???

Wieder liveunterwegs

Auf der Bühne kann man Clueso am 4. Februar 2022 im Zenith München und am 8. Februar in der Stuttgarter Porsche-Arena erleben. Am 25. Mai ist er zudem live beim Zeltfestival Rhein-Neckar in Mannheim. Infos und Links zu Videos unter www.clueso.de.