Asylbewerber-Liste

„Behörden sind gezwungen, sich dumm zu stellen“

Die Rückendeckung durch Minister Strobl kommt dem Tübinger OB Boris Palmer gelegen.

21.11.2020

Von ROLAND MÜLLER

Der Tübinger OB Boris Palmer. Foto: Christoph Soeder/dpa

Der Tübinger OB Boris Palmer. Foto: Christoph Soeder/dpa

Tübingen. . Zu einer echten Männerfreundschaft wird es wohl nicht mehr kommen zwischen dem Tübinger OB Boris Palmer (Grüne) und dem Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink: Nach langem Hickhack hatte Brink im Oktober verfügt, dass die Stadt Tübingen ihre „Liste auffälliger Asylbewerber“ löschen muss – und dabei mangelnde Kooperation Palmers moniert. Dieser wiederum beklagt sich bei jeder Gelegenheit über den „Datenschutz-Fundamentalismus“ Brinks – und lässt auch beim Streitthema „Liste“ nicht locker.

Mit Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat Palmer nun einen Unterstützer gewonnen. In einem Brief an Amtskollege Horst Seehofer (CSU) setzt sich Strobl für den „strukturierten Informationsaustausch“ in Tübingen ein. Dieser sei „grundsätzlich ein geeigneter Ansatz“, um „Gefährdungen für die Beschäftigten, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig zu erkennen und erforderliche Maßnahmen treffen zu können“, heißt es in dem Schreiben, das der SÜDWEST PRESSE vorliegt. Ein „zielgerichteter und maßvoller Austausch von Daten über Straftaten von Asylbewerbern“ liege „in unser aller Interesse und kann der Gefahrenabwehr wie der Integration gleichermaßen dienen“.

„Es freut mich sehr, dass Innenminister Strobl unsere Rechtsauffassung teilt und die enge Auslegung durch den Datenschutzbeauftragten ablehnt“, sagt Palmer. Offenbar sei auch Strobl der Ansicht, „dass der Staat sich nicht blind machen darf gegenüber Kriminalität, auch wenn sie von Asylbewerbern ausgeht.“ Derzeit zwängen die strengen Datenschutz-Regeln die Behörden dazu, „sich dumm zu stellen“.

Im „strukturierten Informationsaustausch“ in Tübingen wurden polizeiliche Daten über Straf- oder Gewalttaten von Asylbewerbern über die Ausländerbehörde auch der Sozialbehörde der Stadt zur Verfügung gestellt – in Form einer Liste. Palmer begründete den Austausch mit dem Schutz städtischer Bediensteter, aber auch mit dem Argument der Integration und Prävention: Mit rechtzeitiger Sozialarbeit könnten kriminelle Karrieren verhindert werden. So sei es erst kürzlich gelungen, mit einem Streetworker-Projekt Zugang zu einer Gruppe zu bekommen, die dominant im öffentlichen Raum aufgetreten sei. „Es geht schon, wenn man koordiniert arbeitet“, sagt Palmer. Wenn aber Sozialarbeiter gar nicht von Straftaten erfahren dürften, könne man auch nicht gegensteuern

Aus Sicht des Datenschutzbeauftragten Brink ist dieser Austausch allerdings rechtswidrig: Für Daten aus Ermittlungsverfahren gelte „strenge Zweckbindung“, die Weitergabe an Sozialbehörden nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa bei konkreter Gefahr, zulässig. Deshalb wurde der Stadt Tübingen das Führen der „Liste“ mit auffälligen Asylbewerbern im Oktober untersagt. In einem Brief an Seehofer forderte Palmer daraufhin die Lockerung der Zweckbindung – dieser Forderung schloss sich nun auch Strobl an. Jetzt liege der Ball in Berlin, sagt Palmer „Das wird jetzt spannend.“ Roland Müller