Cyberangriffe

Bedrohungslage nimmt zu

Es kann Wirtschaft, Verwaltung und das Gesundheitswesen treffen. Zuletzt setzten Online-Erpresser etwa Handelsfirmen und Kommunen unter Druck. Eine Absicherung wird immer wichtiger.

20.07.2021

Von dpa

Mit Cyber-Angriffen können große Produktionsbetriebe mitunter wochenlang lahmgelegt werden. Viele Unternehmen sind nicht gut genug geschützt. Foto: Oliver Berg/dpa

Mit Cyber-Angriffen können große Produktionsbetriebe mitunter wochenlang lahmgelegt werden. Viele Unternehmen sind nicht gut genug geschützt. Foto: Oliver Berg/dpa

Die Kriminellen schleichen sich über das Netz an – und schrecken auch mitten in der Pandemie nicht vor der Umsetzung ihres heimtückischen Plans zurück. „Produktionsanlagen mussten wegen der Erpressung vorläufig heruntergefahren werden“, sagt Steffen Zimmermann. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Folgen der Attacke vielleicht „bis in Covid-19-Lieferketten durchzogen“.

Was Ende März beim französischen Pharmaunternehmen Pierre Fabre geschah, treibt den Leiter des Kompetenzzentrums Industrielle Sicherheit beim Maschinenbauer-Verband VDMA in Frankfurt immer noch um. Nach einem Hackerangriff auf die Werks-IT sei es zu Verzögerungen in eng getakteten Prozessen gekommen, auch Schadenersatz-Forderungen seien entstanden. Und das ausgerechnet in einer Branche, die zur weiteren Eindämmung der Corona-Krise gerade unter Volllast fährt.

Ob in der Medizin, bei Autobauern oder in anderen Industriebetrieben: Nicht nur die Büro-Software auf den Rechnern der Angestellten, sondern auch die komplexe Steuerung ganzer Maschinenparks ist bei Cyberüberfällen verwundbar. Noch seien ernste Vorfälle im zunehmend vernetzten „Internet der Dinge“ mit digital kommunizierenden Anlagen relativ selten, berichtet Zimmermann – sehe man von Beispielen wie dem mehrfachen Angriff auf Thyssenkrupp ab. Doch die Gefahr steige. Einigen Firmen müsse man die Dringlichkeit nach wie vor klarmachen.

„Es ist unmöglich, sich zu 100 Prozent zu schützen“, räumt der VDMA-Experte ein. „Getroffen werden kann jeder, so wie jedes Immunsystem von einem Virus getroffen werden kann. Das gestiegene Bewusstsein muss aber auch zu Investitionen in mehr Sicherheit führen.“ Oft reagierten Unternehmen erst dann, wenn Hacker ihr Chaos schon angerichtet hätten und es eigentlich zu spät ist. „Thema Nummer eins für die Maschinenbau-Branche ist jetzt die Cybersicherheit.“

Im Fall einer großflächigen Verschlüsselung von Daten durch Erpressungs-Software (Ransomware) könnten große Produktionsbetriebe schon mal vier bis sechs Wochen komplett stillstehen. „Mit allen Folgewirkungen kann das bis zum einem Dreivierteljahr dauern – am Ende sieht das Unternehmen dann nicht mehr so aus wie vorher.“

Wenn dies in ohnehin angespannten Krisenzeiten passiert, können sich die Risiken noch aufschaukeln – zumal im Gesundheitssektor. So gab es im Winter Berichte, wonach nordkoreanische Hacker versucht haben sollen, an Informationen über den Corona-Impfstoff des US-Konzerns und Biontech-Partners Pfizer zu gelangen.

Auch Krankenhäuser sind gegen die digitalen Eindringlinge nicht immun: Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gerade rund um eine Online-Erpressung des Klinikums in niedersächsischen Wolfenbüttel. Im Kreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ging nach einer ähnlichen Aktion gegen die IT der Verwaltung so gut wie gar nichts mehr.

„Seit gut eineinhalb Jahren sehen wir eine stetig zunehmende Bedrohungslage, die sich zuletzt noch einmal sehr dynamisch geändert hat“, sagt Johannes Steffl vom Industrieversicherer HDI Global in Hannover. „Teilweise mag dies coronabedingt sein, weil im Homeoffice manche IT-Prozesse nicht so gut geschützt sind.“ Doch auch für die „Operational-IT“ in der Produktion werde das Thema wichtiger: „Wir sprechen hier von IT, die Anlagen und Maschinen rund um die Uhr steuert.“

In der Ära „Industrie 4.0“ müssten Maschinenbauer Cybersicherheit schon beim Design mit bedenken. „Das wird ein wesentliches Qualitätsmerkmal“, so Steffl. „Denn wenn eine Cyberattacke einmal wirklich auf die Produktion einer ganzen Branche durchschlägt, können die Schäden aus einer langen Unterbrechung erheblich sein.“

Prävention und Abwehr dringend nötig

Große Versicherer haben das Problem schon länger erkannt, weisen jetzt aber auf den verschärften Wettlauf zwischen Software-Anbietern und Kriminellen um die Entdeckung von Schwachstellen und Sicherheitslücken hin. Der bekannteste Fall eines Cyberangriffs auf die Industrie-Infrastruktur ist wohl immer noch das 2010 entdeckte Stuxnet-Virus, das Anlagen zur Uran-Anreicherung im Iran sabotierte.