Betriebliches Gesundheitsmanagement

Baustein moderner Unternehmenskultur

Hat Gesundheitsförderung im Betrieb mit den sich rasant verändernden Arbeitsbedingungen zu tun oder wirkt sich Lebensqualität am Arbeitsplatz günstig auf die Motivation der Mitarbeiter aus? Wahrscheinlich ist beides der Fall. Messen lässt es sich nur schwer. Wahr

29.06.2018

Von TEXT: Bernd Steinhilber |FOTOS: Unternehmen

Beim Balinger AOK-Firmenlauf, wie hier im Juni 2017, ist Bizerba mit einem großen Team vertreten.

Beim Balinger AOK-Firmenlauf, wie hier im Juni 2017, ist Bizerba mit einem großen Team vertreten.

Einen hohen Stellenwert hat das BGM bei der Tübinger CHT Germany GmbH, bei dem nicht nur die von Krankenkassen und weiteren Kooperationspartnern unterstützten Gesundheitstage eine wichtige Rolle spielen. Heuer in Tübingen, wo 380 Mitarbeiter in Verwaltung, Forschung und Entwicklung tätig sind, am 26. Juni, sowie zwei Tage später, am 28. Juni, für die 220 Beschäftigten am Produktionsstandort Dußlingen. Mit von der Partie: die Techniker-Krankenkasse. Eingeladen wird bei solchen Gelegenheiten zu Vorträgen mit nur scheinbar so entfernten Themen wie „Achtsamkeit“ und „Ernährung“, zu Kletterkursen und Mitmachaktionen. Messungen von Lungenvolumen, Körperfett, Blutdruck, Cholesterin und Blutzucker sind Standard wie praktische Anregungen, die man in den Arbeitstag integrieren kann, das Vitale Pausentraining etwa.

Das BGM, das die CHT 2011 einführte und von Personalentwicklerin Friederike Rangno koordiniert wird, geht jedoch weit über das Angebot von Gesundheitstagen hinaus. Zusammen mit Vertretern der Geschäftsführung, des Betriebsrates und der Arbeitssicherheit legt ein Steuerkreis die Strategie fest, um deren Umsetzung sich ein „Gesundheitszirkel“ kümmert. Sportkurse, Yoga, ein Sommerprogramm mit Faszientraining, Mountainbike-Fahrtechnik, Pilates und funktionaler Fitness sind nur ein kleiner Teil davon.

Zum BGM-Katalog gehören von Betriebsärzten vorgenommene Vorsorgeuntersuchungen. Mehrmals im Jahr kann man bei der Sozialberatung über Belastungen am Arbeitsplatz vorsprechen. Angeboten wird eine Beratung in Fragen zur privaten Kranken-Zusatzversicherung. Und weil der Gesundheitsgedanke im Unternehmen gelebt werden soll, haben Führungskräfte das aus vier Modulen bestehende Programm „Gesundheit ist Chefsache“ durchlaufen.

Ganz neu ist „Betsi“, was so viel heißt wie „Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert sichern“. Das von der Rentenversicherung finanzierte Präventionsprogramm richtet sich an Beschäftigte, die Probleme mit dem Gewicht oder der Ernährung haben, unter Bewegungsmangel leiden, unter Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder Diabetes Mellitus. Gestartet wurde „Betsi“ im April 2018 mit einem dreitägigen Kick-Off im Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR). Drei Monate unterziehen sich seitdem 18 Teilnehmer zweimal wöchentlich einem angeleiteten Training. Diesem schließen sich drei Monate Training in Eigenregie mit einem Abschlusstag im Oktober an.

Arbeits- und Gesundheitsschutz, Schulungen zum Thema „Gesundheit“ sowie das Betriebliche Eingliederungsmanagement nach langer Krankheit eines Mitarbeiters runden das Angebot bei CHT ab. „Die Kurse sind gut besucht“, stellt Rangno fest, die selbst eine begeisterte Sportlerin ist und ein Angebot nutzte, bei dem sie hoch hinauskam. Die Personalentwicklerin belegte zwei Kurse eines Kooperationspartners. Im „B 12 DAV Boulderzentrum“ kletterte sie erst im Toprope, um sich dann als Fortgeschrittene in den Vorstieg zu wagen.

Rund 1200 Mitarbeiter profitieren bei Bizerba in Balingen vom BGM. Freilich hat in dem Unternehmen der soziale Gedanke eine lange Tradition. Die Öffnung der Kantine für Betriebsrentner, Arbeitsjubilarfeiern, Sozialfonds, mit denen Krankheits- und Todesfälle finanziell abgefedert werden, sorgen schon lange für ein Wohlfühlklima und durchaus dafür, dass die Fluktuation gering ist. Schon seit den 80er Jahren verfügt man über einen Betriebsarzt und bereits 1990 richtete Bizerba die Stabsstelle „Arbeitssicherheit“ ein. 1997 hielt das BGM Einzug, das im Jahr 2000 mit einer Gesamtbetriebsratsvereinbarung festgeschrieben und von einer Absichtserklärung über ein umfassendes Gesundheitsförderungsprogramm flankiert wurde.

Vom Arbeitgeberverband Südwestmetall angeregt, ließ sich Bizerba das BGM 2017 zertifizieren. Gesundheitsschutz, Eingliederungsmanagement und Gesundheitsförderung einschließlich des Betriebsrestaurants sind die von einem Steuerungsgremium moderierten Bereiche.

Die Belegschaft profitiert von einem Katalog an Kursen und Seminaren, darunter Suchtprävention und Fitnessprogramme, Lauftreff und reisemedizinische Beratung, arbeitsplatznahe Physiotherapie, Grippeschutzimpfung sowie ein Radfahr-Sicherheitstraining bis zum Stressabbau durch Klettern. Auch bei Bizerba sind bei den jährlichen Gesundheitstagen die Krankenkassen beteiligt.

Human-Resources-Coordinator Helmut Rebstock versteht das BGM als einen fortlaufenden Prozess, mit immer neuen Angeboten. So können sich neuerdings Mitarbeiter an Pflegelotsen wenden, wenn es darum geht, Beruf und Angehörigenpflege unter einen Hut zu bekommen. In Vorbereitung ist eine „Telemedizinische Sprechstunde“ für Außendienst- und Servicemitarbeiter. Kurse, Seminare und der „Gesundheitscheck mit großem Blutbild“ werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rege genutzt.

„Dem Unternehmen liegt die Gesundheit der Belegschaft am Herzen“, sagt Rebstock, „weshalb wir in Sachen BGM einen großen Handlungsspielraum haben“. Unerlässlich sei allerdings das Einfühlungsvermögen der dafür geschulten Führungskräfte gerade auch bei psychischen Belastungen und Stress.

Bei der Rampf Holding GmbH & Co. KG in Grafenberg ist Sabrina Lieb für das Betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig. Die Personalreferentin hat das Fach an der Hochschule in Aalen studiert und vor zwei Jahren damit begonnen, das gruppenweite BGM in der Rampf-Gruppe einzurichten.

Zwar wurden an den meisten Standorten immer schon Mineralwasser und Obst kostenlos an die Belegschaft ausgegeben und hatte man mit diversen Aktionen ihre Gesundheit im Blick. Doch verfüge man, so Lieb, nunmehr über ein strukturiertes, sich weiterentwickelndes Angebot.

Der 2015 von der Geschäftsleitung an die Personalabteilung herangetragene Wunsch nach einem BGM konkretisierte sich schon ein Jahr später. Steuerungsgremien an drei deutschen Standorten sind seit 2016 damit befasst. In den „fit for future-Teams“ kümmern sich Personalabteilung, Betriebsrat und Mitarbeiter um die Strategie. Mit dabei sind auch Gesundheitsmanagerinnen der IKK Classic sowie Vertreter der Fitnessclubs PT Reutlingen und Injoy Dettingen/Rottweil. 40 Prozent der Belegschaft nutzen das Angebot in den Fitnessstudios, weshalb Lieb immer einen Kollegen trifft, wenn sie eines der Studios besucht. Zudem halten die Clubs bei diversen Aktionstagen Workshops in den einzelnen Unternehmen ab, nehmen verschiedene Messungen vor, bieten Physiosprechstunden an und Massagen. „Bei uns sollen sich die Mitarbeiter wohlfühlen“, begründet Lieb das Engagement des Unternehmens.

Auch die Arbeitssicherheit und der Gesundheitsschutz haben bei Rampf einen hohen Stellenwert. Dazu zählen die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung, arbeitsmedizinische Vorsorge sowie Beratungen am Arbeitsplatz samt einschlägigen Schulungen und Seminaren. Das betriebliche Eingliederungsmanagement dient der Überwindung und Vorbeugung von Arbeitsunfähigkeit und letztlich der Erhaltung des Arbeitsplatzes.

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist längst noch nicht in allen Unternehmen etabliert. Besonders die kleinen Betriebe tun sich schwer damit, wissen oft gar nicht, wo sie ansetzen und wie sie das BGM umsetzen sollen. Eine Scheu allerdings, die sie nicht zu haben brauchen. Denn Firmen, die sich dafür entscheiden, können sich auf die Unterstützung durch die Krankenkassen verlassen, spätestens seit sie der Gesetzgeber auf Prävention verpflichtet hat. Seit 2016 gilt für sie ein Ausgabenrichtwert von sieben Euro je Versicherten, den sie in primärpräventive und gesundheitsfördernde Leistungen investieren müssen.

Freilich haben die Gesundheitskassen das Feld der Prävention schon länger für sich entdeckt. Birgit Kenneweg von der IKK classic ist nicht die einzige, deren Arbeitsschwerpunkt seit Jahren auf dem BGM liegt. Die Gesundheitsmanagerin, die von Böblingen aus das Feld der IKK-Regionaldirektion Reutlingen-Tübingen-Böblingen bestellt, macht das Geschäft seit 18 Jahren.

„Auch wenn wir uns in einem gesetzlich vorgegebenen Rahmen bewegen müssen, sind wir sehr flexibel.“ Allerdings immer entlang der Frage: „Wie kriege ich Prävention an die Menschen heran?“

Kenneweg: „Wir setzen bei der Arbeit, bei Schulen, Berufsschulen und Kindergärten an, weil sich die Menschen dort die meiste Zeit aufhalten“, eine Strategie, die bei der IKK bundesweit festgelegt wird. Zwar ist das Leistungsspektrum der Krankenkassen grundsätzlich ähnlich, allerdings legt die IKK classic den Schwerpunkt auf Handwerksbetriebe.

Kenneweg, die im Bereich ihrer Direktion für das BGM in den Betrieben zuständig ist, sieht ihre Aufgabe zunächst darin, das Gesundheitsmanagement in den Firmen vorzustellen. Erst wenn das O.K. kommt und das Unternehmen sich dafür entscheidet, folgt eine ausführliche Analyse im Betrieb, bei der auch Schnittstellenproblematiken, das Kommunikationsverhalten und die Arbeitsorganisation angesprochen werden.

Sind diese Grundlagen geschaffen, werden die erarbeiteten Schritte vom Betrieb freiwillig umgesetzt, wozu auch Training, Seminare, Rückenschule usw. zählen.

„Meine Rolle ist es, das BGM in den Betrieben zu implementieren.“ In kleinen Firmen sind es häufig der Chef selbst und dessen Frau, die sich darum kümmern, in großen Unternehmen eine dafür freigestellte Person oder ein Gremium, wie es bei unseren in diesem Artikel aufgeführten Beispielen der Fall ist. Wenn von der Firma gewünscht, schließt sich nach gegebener Zeit eine zweite Analyse an, um das Ergebnis zu evaluieren.

Kenneweg ist eine überzeugte BGM-Botschafterin. „Das fruchtet definitiv“, stellt sie fest. „Die Firmen haben erkannt, dass das BGM auch für die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern sowie der „Haltearbeit“ älterer Mitarbeiter ein entscheidender Faktor ist und nicht zuletzt das Firmenimage toppt“. Doch nicht nur deshalb bleiben die Betriebe bei der Stange. Denn der Präventionskatalog erweitert sich ständig. So sind seit 2013 Firmen verpflichtet, psychische Gefährdungsanalysen durchzuführen. „Auch da können die Kassen eine willkommene Helferin sein“, sagt Kenneweg. „Durch Analysen und Befragung der Mitarbeiter können wir einen Teil dieser Arbeit abdecken.“

Gut besucht sind die von Bizerba und der CHT im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements angebotenen Kletterkurse.

Gut besucht sind die von Bizerba und der CHT im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements angebotenen Kletterkurse.

Immer wieder freitags: Die „Aktive Mittagspause“ bei Rampf erfrischt Körper wie Seele.

Immer wieder freitags: Die „Aktive Mittagspause“ bei Rampf erfrischt Körper wie Seele.

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Erstellt:
29.06.2018, 07:55 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 18sec
zuletzt aktualisiert: 29.06.2018, 07:55 Uhr

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