Tüftler und Macher

Banger Blick aufs Wetter

Apfelbäume soweit das Auge reicht: Das Obstgut Bläsiberg bei Tübingen ist der größte Demeter-Apfelproduzent im Kreis. Mit gutem Gespür für Sorten, Standort und Kundengeschmack begegnen die beiden Geschäftsführer Holger Schell und Stefan Grüter seit über 20 Jahren erfolgreich den Unbillen des Wetters.

22.07.2016

Von Ghita Kramer-Höfer

Holger Schell übernahm 1994 das Obstgut Bläsiberg und wandelte es in einen Demeter-Betrieb um. Gemeinsam mit Stefan Grüter leitet er das Unternehmen, unterstützt von 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bild: Anne Faden

Holger Schell übernahm 1994 das Obstgut Bläsiberg und wandelte es in einen Demeter-Betrieb um. Gemeinsam mit Stefan Grüter leitet er das Unternehmen, unterstützt von 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bild: Anne Faden

Langsam wächst die Unruhe auf dem Tübinger Obstgut Bläsiberg: Ende Juli beginnt die Apfelernte. Bis Ende Oktober wird sie dauern, dann sind Topaz, Berlepsch, Glockenapfel, Boskop und Co. eingelagert und viele davon bereits von ungeduldig auf die neue Ernte wartenden Kunden verspeist.

17 Sorten aus eigenem Demeter-Anbau wachsen auf den insgesamt 16 Hektar Land rund um das Gehöft im Steinlachtal, 200 Tonnen in der Summe. Klingt viel und ist viel: Das Obstgut Bläsiberg ist der größte Demeter-Apfel-Produzent im Raum Tübingen/Reutlingen. Und dennoch: Seit gut zwei Monaten sind sie ratzeputz weg, die eigenen Äpfel: Die Nachfrage nach heimischen, regional produzierten und biologisch dynamisch angebautem Obst übersteigt die Produktionsmöglichkeiten auf dem Bläsiberg.

Ursprünglich war das Obstgut ein städtischer Eigenbetrieb, auf dem der klassische Obstbau demonstriert und zugleich die Tübinger Bevölkerung günstig mit Obst versorgt werden konnte. Zu hohe Personalkosten gaben den Weg zur Verpachtung frei.

Holger Schell, in einem Obstbaubetrieb am Bodensee groß geworden und mit frischem Agrarwissenschaftler-Abschluss in der Tasche, bewarb sich 1994 und erhielt den Zuschlag. „Ich wollte das Obstgut erhalten, es jedoch auf biologisch-dynamischen Anbau umstellen“, erzählt er. Allein war das nicht zu stemmen und er holte ein Jahr später seinen Kommilitonen Stefan Grüter mit ins Boot.

Einfach war die Aufgabe nicht, der sich die beiden stellten: Der Betrieb samt Obstbaumbestand war vollkommen überaltert, es gab keine adäquaten Lagermöglichkeiten, „er war abgewirtschaftet“, fasst Grüter zusammen.

Es galt, robuste Obstsorten zu finden, die sich für biologischen Anbau eignen, die an diesem Standort gedeihen und die zugleich dem Sortengeschmack der Kunden entsprachen. „Der hat sich ziemlich verändert in den vergangenen Jahrzehnten“, erinnert sich Holger Schell. „Früher aßen alle Granny Smith und Golden Delicious. Heute essen die Leute lieber rote Äpfel.“

Die heute gefragteste Sorte auf dem Obstgut war 1995 eine Neuzüchtung namens „Topaz“. „Das Risiko, diese unbekannte Sorte anzubauen, war groß“, erzählt Holger Schell. „Nach zwei Jahren trägt ein Apfelbaum die ersten Früchte, nach fünf Jahren erst trägt er ausreichend und gute zehn Jahre braucht es, bis der Apfel am Markt angenommen ist“. Doch die beiden hatten einen guten Riecher und der Apfel ist heute ein Selbstläufer.

Wer große Mengen anbaut, muss sie auch lagern und verkaufen können. „Kaum ein Kunde hat heute noch einen Gewölbekeller, in dem er Äpfel und Kartoffeln einlagert“, so Stefan Grüters Erfahrung. „Die Folge für uns: Wir mussten größere Kapazitäten schaffen“. Ein moderner Lagerraum mit unterschiedlichen Bereichen und kontrollierter Atmosphäre macht auf ganz natürliche Weise möglich, die Äpfel so lange vorzuhalten, wie es nötig ist.

Verkauft wurde am Bläsiberg anfangs ausschließlich im Hofladen, später auch auf verschiedenen Wochenmärkten. Schnell war klar, dass die Kunden ihren Bedarf auch an anderem Obst und Gemüse decken wollen. Heute werden auf dem Obstgut 16 Gemüse- und weitere acht Obstarten nach Demeter-Richtlinien angebaut. Zugekaufte Ware stammt überwiegend aus Demeter- oder Biolandanbau.

Aus einem kleinen Lieferservice entstand vor über 20 Jahren die Idee der Abo-Kiste. Heute liefern die Mitarbeiter des Obstguts pro Woche gut 650 Kisten an ihre Kunden, nach individuellem Wunsch gefüllt mit frischem Obst und Gemüse der Saison, Rezeptvorschläge inbegriffen. 90 Prozent der Kunden bestellen über den Online-Shop. Zwischenzeitlich liefert und verkauft das Obstgut
Bläsiberg auch Milch, Käse, Brot, Saft und andere Naturkostprodukte ausgewählter Kooperationspartner aus der Region.

Bei allem stetig wachsenden Angebot: Die Hauptsache auf dem Obstgut sind und bleiben die Äpfel. Lieblingsobst der beiden Geschäftsführer? Eh klar. Holger Schell kommt beim Topaz ins Schwärmen, Kollege Stefan Grüter bevorzugt den noch ganz neuen Natyra, beide Herren erzählen in warmen Farben von knackiger Frische und angenehmer Säure, sie haben ihren Traumberuf gefunden. „Mit leichter Einschränkung“, kommt leiser Einspruch. „Der allmorgendliche Blick aufs Wetter ist, gelinde gesagt, anstrengend. Regen, Hagel, zu viel, zu wenig Sonne – es ist ein Beruf in und mit der Natur und das hat eben auch seine Schattenseiten“, sinniert Holger Schell. Auch den Stundenlohn darf man nicht rechnen, „wir sind, wenn es sein muss, rund um die Uhr überall dort im Einsatz, wo es nötig ist“.

Entschädigt werden sie durch ein naturverbundenes Leben, einen herrlichen Arbeitsplatz, ein gutes Verhältnis zu ihren Mitarbeitern und Lieferanten und durch eine stetig wachsende Zahl zufriedener Kunden.

Gibt es etwas, das die beiden Bläsiberg-Chefs außer Äpfeln noch anbauen würden? „Bananen!“, sind sie sich einig. „Die sind beinahe so beliebt wie Äpfel und haben das ganze Jahr Saison. Aber die wachsen hier einfach nicht!“

Auf 16 Hektar werden auf dem Obstgut jährlich gut 200 Tonnen Äpfel geerntet. Die Bäume, in Reihe gepflanzt, ergäben eine Gesamtlänge von 32 Kilometern. Bild: Anne Faden

Auf 16 Hektar werden auf dem Obstgut jährlich gut 200 Tonnen Äpfel geerntet. Die Bäume, in Reihe gepflanzt, ergäben eine Gesamtlänge von 32 Kilometern. Bild: Anne Faden

Zusätzlich zu den rund 17 Apfelsorten werden auf dem Obstgut Bläsiberg in Demeter-Anbau 16 Gemüse- und acht Obstarten angebaut, darunter Tomaten, Gurken, grüner Spargel, Kohlrabi, Zucchini, Paprika, Auberginen, Fenchel und Spinat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter packen wöchentlich gut 650 Bio-Kisten, mit allem, was sich die Kunden wünschen, und liefern sie aus. Die meisten Bestellungen gehen zwischenzeitlich über den Online-Shop ein. Bild: Anne Faden

Zusätzlich zu den rund 17 Apfelsorten werden auf dem Obstgut Bläsiberg in Demeter-Anbau 16 Gemüse- und acht Obstarten angebaut, darunter Tomaten, Gurken, grüner Spargel, Kohlrabi, Zucchini, Paprika, Auberginen, Fenchel und Spinat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter packen wöchentlich gut 650 Bio-Kisten, mit allem, was sich die Kunden wünschen, und liefern sie aus. Die meisten Bestellungen gehen zwischenzeitlich über den Online-Shop ein. Bild: Anne Faden

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Erstellt:
22.07.2016, 08:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 00sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 08:00 Uhr

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