Darwinismus in der Nase

Bakterien besiedeln die Schleimhaut und produzieren Antibiotika als Waffe gegen Konkurrenten

Einen neuen antibiotischen Wirkstoff, der gegen multiresistente Keime wirkt, haben Tübinger Forscher entdeckt. Die Nachricht interessiert die Öffentlichkeit und Patienten offensichtlich mehr als die pharmazeutische Industrie.

01.08.2016

Von Angelika Bachmann

Die chemische Strukturformel des neu entdeckten Antibiotikums „Lugdunin“. Außerdem im Bild: die beiden Erstautoren Alexander Zipperer (links) und Martin Christoph Konnerth (rechts). Foto: Uni Tübingen / Martin Christoph Konnerth

Die chemische Strukturformel des neu entdeckten Antibiotikums „Lugdunin“. Außerdem im Bild: die beiden Erstautoren Alexander Zipperer (links) und Martin Christoph Konnerth (rechts). Foto: Uni Tübingen / Martin Christoph Konnerth

Tübingen. Multiresistente Keime sind gefürchtet. Wer sich damit infiziert hat, lebt mit einer Zeitbombe. Wird das Immunsystem geschwächt oder steht eine größere Operation an, kann sich der Körper oft nicht mehr gegen den Erreger wehren. Wenn dann kein Antibiotikum mehr hilft, kann das tödlich enden. Als Tübinger Mikrobiologen vergangene Woche vermeldeten, sie hätten ein Bakterium in der menschlichen Nase entdeckt, das einen neuartigen Wirkstoff gegen multiresistente Erreger produziert (wir berichteten) ging die Nachricht durch zahlreich überregionale Medien.

Man müsste meinen, Vertreter von Pharmafirmen würden sich seither auf der Tübinger Morgenstelle die Klinke in die Hand geben. „Es gab einige Anfragen“, sagt Prof. Andreas Peschel. „Aber die großen Pharmafirmen sind nicht interessiert an Antibiotika.“ Denn diese gehörten zu den wenigen Arzneien, die Menschen gesund machen. Der Patient braucht Antibiotika nur für ein paar Tage. Damit macht man keinen Umsatz. „Pharmafirmen“, sagt Peschel, „sind eher interessiert an Medikamenten für chronische Krankheiten“.

Dennoch hoffen Peschel und Bernhard Krismer, deren Arbeitsgruppe das neue Antibiotika entdeckt hat, dass der Wirkstoff über kurz oder lang in ein Medikament mündet. Wohl eher: über lang. Denn was bislang herausgefunden wurde, gehört noch in den Bereich der Grundlagenforschung. Hat aber durchaus Potenzial.

An das Milieu in der Nase optimal angepasst

Schon seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich Krismer und Peschel mit Bakterien, die die Nasenschleimhaut besiedeln. Auch weil man weiß, dass dort mit Vorliebe das Bakterium Staphylococcus aureus siedelt. Doch während die Biologen sich gerne mit dem Ökosystem und der Bakterienwelt im Pflanzen- oder auch Tierreich beschäftigen, sei „der Mensch als Ökosystem, als Lebensraum für Mikroorganismen weitgehend unerforscht“, sagt Peschel und macht dafür auch die klassischen Fächergrenzen an den Universitäten verantwortlich: Biologen seien gemeinhin der Ansicht, alles was mit dem Menschen zu tun habe, gehöre in den Bereich der Medizin. Während die Medizin sich meist erst mit Themen beschäftige, wenn es um Krankheiten gehe.

Als eine der ersten Universitäten in Deutschland hat die Uni Tübingen diese Fachgrenzen in ihrem „Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin“ abgebaut. Hier forschen Mediziner und Biologen in Kooperationsprojekten – mit ein Grund, warum Tübingen auch ein Standort des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ist.

Allmählich wächst in der Medizin das Bewusstsein dafür, wie die Bakterienbesiedlung zum Beispiel im Darm die Gesundheit und das Immunsystem beeinflussen kann. Für das Bakterienmilieu in der Nase haben Krismer und Peschel schon mehrere interessante Forschungsergebnisse vorgelegt.

Vor anderthalb Jahren veröffentlichten sie eine Arbeit über ein Protein, das von einem Virus produziert wird und das Bakterium Staphylococcus aureus in der Nase angreift. Etwa ein Drittel aller Menschen trägt dieses zumeist harmlose Bakterium in der Nase, ohne das zu wissen. Jetzt hat die Arbeitsgruppe um Krismer und Peschel ihre Forschung über das Bakterium Staphylococcus lugdunensis bei „Nature“ veröffentlicht. Es hat das Zeug, zu einer wichtigen Abwehrwaffe gegen multiresistente Keime zu werden.

Antibiotika werden von der Natur bereits als Waffen eingesetzt: Bakterien entwickeln antibiotische Stoffe, um sich gegen konkurrierende Bakterien zur Wehr zu setzen, diese zu schädigen, abzutöten und die eigenen Überlebenschancen zu verbessern. Das darwinistische Prinzip findet man bei Bodenbakterien ebenso wie bei Bakterien die die Darmwände oder eben die Nasenschleimhaut besiedeln. In diesem Fall: Das Bakterium Staphylococcus lugdunensis produziert einen antibiotischen Wirkstoff um sich gegen Staphylococcus aureus zur Wehr zu setzen.

Denn die Nase ist ein kärglicher Lebensraum für Bakterien, wie Krismer und seine Kollegen herausgefunden haben. Das Nasensekret ist eine salzig-wässrige, nährstoffarme Lösung. Bakterien, die darin überleben wollen, müssen ihre Konkurrenten klein halten. Staphylococcus aureus, so weiß man, hat sich optimal auf dieses Milieu angepasst. Aber Staphylococcus lugdunensis hat offensichtlich die schlagkräftigeren Waffen: Wo er sich befindet, ist Staphylococcus aureus ausgemerzt, haben die Forscher herausgefunden. Den genauen Wirkmechanismus habe man allerdings noch nicht entschlüsselt. Allerdings ist der Wirkstoff bereits patentiert. Ob er therapeutisch einsetzbar ist und Grundlage für eine neue Antibiotikaklasse sein kann? Ob sich Resistenzen im Produzenten bilden?

Diese Fragen lassen sich erst in ein paar Jahren beantworten, wenn weiter geforscht und klinische Studien gemacht wurden. Letzteres ist allerdings etwas, was sie als Wissenschaftler an der Universität nicht leisten könnten, so Peschel und Krismer. Medikamentenstudien sind teuer, das Prozedere ausgefeilt. Die Forscher hoffen nun, über das DZIF Kooperationspartner zu bekommen, die die Weiterentwicklung der Forschungsergebnisse hin zu einem Medikament in die Wege leiten.

Schema zur Funktionsweise von „Lugdunin“: Auf den nasalen Epithelzellen (in Rosa) lebt natürlicherweise das Bakterium Staphylococcus lugdunensis (kleine weiße Doppelzellen), das den Infektionserreger Staphylococcus aureus (gelbe Doppelzellen) durch Bildung von „Lugdunin“ abtötet. Grafik: Prof. Dr. Andreas Peschel

Schema zur Funktionsweise von „Lugdunin“: Auf den nasalen Epithelzellen (in Rosa) lebt natürlicherweise das Bakterium Staphylococcus lugdunensis (kleine weiße Doppelzellen), das den Infektionserreger Staphylococcus aureus (gelbe Doppelzellen) durch Bildung von „Lugdunin“ abtötet. Grafik: Prof. Dr. Andreas Peschel

Bernhard Krismer. Bild: Bachmann

Bernhard Krismer. Bild: Bachmann

Andreas Peschel. Bild: Bachmann

Andreas Peschel. Bild: Bachmann

Bakterien und multiresistente Erreger

Etwa ein Drittel aller Menschen trägt das Bakterium Staphylococcus aureus in der Nase, meist allerdings, ohne das zu wissen. Das Bakterium macht meist keine Beschwerden, nur ein geringer Teil gehört dem Unterstamm an, der Resistenzen gegen die wichtigsten Antibiotika entwickelt hat (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus - MRSA) und deshalb besonders gefährlich ist. Ist der Körper geschwächt, kann sich das Bakterium ausbreiten und zu lebensbedrohlichen Entzündungen bis hin zu Sepsis führen. Ein besonders hohes Risiko für MRSA-Besiedlung haben Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten.

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Erstellt:
01.08.2016, 18:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 33sec
zuletzt aktualisiert: 01.08.2016, 18:30 Uhr

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