Zwischen Stuttgart und Tübingen häufen sich Verspätungen

Bahn: Viele Verspätungen, viele Ausfälle · Das ist nicht akzeptabel, findet die Landesregierung

Am Dienstag war es wieder mal so weit. Bahnreisende, unter ihnen viele Pendler auf dem Heimweg, saßen im Stuttgarter Hauptbahnhof im Inter-Regio-Express (IRE) auf Gleis 12 nach Tübingen und warteten auf die Abfahrt.

03.02.2018

Von Renate Angstmann-Koch

Zugausfall, Verspätung, Bahn, Bahnhof Tübingen Archivbild: Metz

Zugausfall, Verspätung, Bahn, Bahnhof Tübingen Archivbild: Metz

Um 18.15 Uhr hätte es losgehen sollen, erinnert sich Renate Schelling. Als Parlamentarische Beraterin der SPD-Landtagsfraktion pendelt sie unter der Woche täglich von Dußlingen in die Landeshauptstadt und zurück. Doch ehe die Lok auch nur starten konnte, wurde der Motor immer leiser. Man hörte geradezu, wie er abstarb.

Um 18.19 Uhr dann die Durchsage: „Die Abfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit.“ Das war für rund 150 Pendler das Signal, sich regelrecht aus dem Zug zu stürzen und in Richtung Gleis 2 zu rennen, wo der Regional-Express (RE) zum Start um 18.22 Uhr bereitstand. Schelling schaffte es gerade noch in den letzten Waggon, der bereits proppenvoll war. Sie verbrachte die Fahrt auf dem nächstbesten Sitz in der ersten Klasse. Die Gefahr, dort von einem Zugbegleiter verscheucht zu werden, sei gering, sagt die frühere Dußlinger Gemeinderätin und Kreisrätin: Sie habe in diesem Jahr bisher nur ein einziges Mal einen Schaffner gesehen, und kontrolliert worden sei sie noch nie.

Mit dem langsameren Regional-Express (RE), der nicht nur wie der IRE in Reutlingen und Tübingen hält, sondern auch etwa in Bad Cannstatt, Esslingen, Plochingen und Wendlingen, kam Schelling dennoch zu spät in Tübingen an, um noch die Hohenzollerische um 19.10 Uhr auf Gleis 6 zu erwischen. Erst zur Tagesschau war sie zu Hause in Dußlingen.

Solche Erlebnisse sind Pendler-Alltag. Das brachte den Reutlinger SPD-Landtagsabgeordneten und überzeugten Bahnfahrer Ramazan Selcuk dazu, eine kleine Anfrage zu Verspätungen und Zugausfällen auf der Neckartalbahn an die Landesregierung zu richten. Er interessierte sich vor allem dafür, wie sich die Lage nach dem 1. Oktober 2016 entwickelt hat. Denn seit damals gelten Übergangsverträge: Die DB Regio ging bei der Neuausschreibung der Neckartal-Strecken leer aus. Sie bedient sie nur noch bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019, also knapp zwei Jahre lang. Danach übernimmt sie der niederländische Konzern Abellio.

Gerade Schüler, Studierende und Pendler treffen Zugverspätungen hart. Archivbild: Angstmann-Koch

Gerade Schüler, Studierende und Pendler treffen Zugverspätungen hart. Archivbild: Angstmann-Koch

Ständig verspätet in Stuttgart

Die Antwort des Verkehrsministeriums an Selcuk ist ernüchternd, wenn sie auch Zugreisende, die regelmäßig auf der Strecke unterwegs sind, nicht überrascht. Zwar ging die Pünktlichkeit der Regional-Express-Züge (RE) zwischen Stuttgart und Tübingen gegen Ende vergangenen Jahres nur leicht zurück. Im Dezember kamen 90,1 Prozent der Züge pünktlich an – wobei bis zu sechs Minuten Verspätung noch als pünktlich gelten. Auch waren 86 Prozent der schnellen Interregio-Express-Züge (IRE) mit Neigetechnik zwischen Stuttgart und Tübingen (dort werden die Züge getrennt und fahren teils weiter nach Aulendorf und teils nach Horb) im Dezember pünktlich nach rund einer Dreiviertelstunde am Ziel.

Doch in umgekehrter Richtung sah es düster aus: Im Mai und Juni kamen nur gut 56 Prozent der IRE-Züge aus Tübingen pünktlich in Stuttgart an, fast die Hälfte war verspätet. Nach vorübergehender Verbesserung lag die Quote der pünktlichen Züge im November bei 64,6 Prozent und im Dezember sogar nur bei 61 Prozent. Das ist vor allem ein Problem für Fernreisende, die Anschlüsse erreichen müssen – aber auch für Berufspendler, Schüler und Studierende auf dem Weg zur Arbeit oder zum Unterricht.

Die Verspätungen in umgekehrter Richtung, also von Stuttgart in Richtung Tübingen, erklärt sich das Verkehrsministerium vor allem mit der dicht befahrenen Strecke zwischen Stuttgart und Plochingen, auf der auch Züge nach Ulm, Fernverkehr und S-Bahnen unterwegs sind. Besonders wegen des stark belasteten Abschnitts zwischen Stuttgart und Bad Cannstatt sei eine pünktliche Abfahrt oft nicht möglich.

Zwei Züge fallen täglich ganz aus

Daten über die Regionalbahnen, die langsamsten der drei Zugtypen mit den meisten Haltepunkten, lagen dem Ministerium wegen Bauarbeiten zwischen Wendlingen, Plochingen und Nürtingen, die tagsüber außerhalb der Berufsverkehr-Zeiten ausgeführt werden, nicht vollständig vor..

Noch dramatischer als bei den Verspätungen sieht die Sache jedoch aus, wenn man die kompletten Zugausfälle betrachtet. Vergangenes Jahr fielen auf der Strecke Tübingen-Stuttgart und zurück 421 Regional-Express-Züge, 120 IRE und 184 Regionalbahnen aus – durchschnittlich ziemlich genau zwei Züge am Tag.

Ministerium: „Nicht akzeptabel“

„Das Pünktlichkeitsniveau, insbesondere auf der IRE-Linie, ist aus Sicht der Landesregierung nicht akzeptabel“, so das Fazit des Verkehrsministeriums. Hauptursache der Ausfälle seien Fahrzeugschäden – besonders beim Regional-Express – und externe Einflüsse gewesen. Personalbedingte Ausfälle kämen vor, seien aber in weniger als 10 Prozent der Fälle die Ursache.

Doch mit Mangel an Pünktlichkeit und dem Ausfall ganzer Züge ist es nicht genug. Weil Fahrzeuge kaputt sind und die Werkstatt der Bahn in Ulm mit der Reparatur oft nicht hinterherkommt, gibt es laut Ministerium häufiger Fahrten mit weniger Fahrzeugen als vereinbart und gefordert. Die Folge: überfüllte Waggons, auf den Bahnhöfen zurückgelassene Fahrgäste, längere Aufenthaltszeiten an den Stationen, Verspätungen und versäumte Anschlüsse.

Auch davon kann Renate Schelling ein Lied singen. Häufig berichtet sie auf Facebook, was ihr auf dem Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause widerfuhr. Oft geht es – vor allem im Regional-Express – um Türen, die sich partout nicht mehr öffnen lassen, obwohl von innen und von außen Reisende, Schaffner und Zugbegleiter gemeinsam an ihnen rütteln. Es geht um ganze Züge mit defekten Toiletten, um Fahrgäste, die von Metzingen bis Stuttgart stehen müssen, oder um Reisende mit Rollkoffern, die olympiareife Sprints hinlegen und trotzdem keine Chance mehr haben, ihre Anschlüsse zu erreichen.

Reisende blieben amBahnsteig

Oft sind ihre Beschreibungen voller Situationskomik. So etwa bei der Anekdote im Regional-Express im Sommer 2016. Nach drei Minuten Aufenthalt in Plochingen hätte der Zug eigentlich um 17.15 Uhr weiterfahren müssen. Stattdessen kam die Durchsage „Werte Fahrgäste, das ist kein Scherz. Unser Zugführer sitzt auf der Toilette fest, wir warten auf die Feuerwehr.“ Tatsächlich war es dem Mann und mehreren Mitreisenden selbst mit vereinten Kräften nicht gelungen, die Tür aufzukriegen.

Der Zugführer dürfte den Vorfall ebenso wenig komisch gefunden haben wie Renate Schelling ihr Erlebnis mit der Hohenzollerischen, die dem Land gehört, im Dezember. Die Bahn kam morgens mit nur einem Triebwagen in Dußlingen an und war – unter anderem mit Berufsschülern – so überfüllt, dass nicht mehr alle Wartenden zusteigen konnten. Auf der eingleisigen Strecke gebe es ohnehin oft Verspätung, weil die Züge aus Stuttgart in Richtung Sigmaringen und Aulendorf Vorrang haben und der Gegenverkehr in Mössingen warten muss, sagt Schelling. Zwei Bekannte, die früher Bahnfahrer waren, hätten jetzt aufgegeben und seien aufs Auto umgestiegen.

Ministerium: „Wir machen permanent Druck“

Die Neckartal-Strecke Tübingen-Stuttgart und zurück wird derzeit noch von der DB Regio betrieben. Zum Fahrplanwechsel 2019 übernimmt der Abellio-Konzern. Die Fahrten mit dem schnellen IRE, dem langsameren RE und der Regionalbahn RB werden vom Land in Auftrag gegeben.

Für Zugausfälle und Verspätungen ist zunächst die DB Regio verantwortlich. Sie hat laut Ministerium vor allem Schwierigkeiten, genug funktionstüchtige Fahrzeuge vorzuhalten. Auch das Land sehe sich den Reisenden gegenüber in der Pflicht, versichert Edgar Neumann, der Pressesprecher des Verkehrsministeriums. Es gebe wöchentlich Gespräche mit der DB Regio, „wir stehen denen ständig auf den Füßen und prangern Missstände an“. In Extremfällen wie bei der Bodenseegürtelbahn greife das Land auch direkt ein – etwa mit Hilfe bei der Wartung von Zügen.

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Erstellt:
03.02.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 37sec
zuletzt aktualisiert: 03.02.2018, 01:00 Uhr

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Trauts 03.02.201810:19 Uhr

Genau deshalb darf man sich nicht wundern, dass keiner vom Auto zur Bahn wechselt. Stau B27 und Feinstaub in Stuttgart kann damit nicht entgegengewirkt werden.

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