Interview zur Mobilität

Verkehrswissenschaftler Fellendorf: „Autofahren ist zu billig“

Der Verkehr zählt zu den größten Klimasündern. Damit sich das ändert, müssen Bahn und Bus gestärkt werden, sagt Forscher Martin Fellendorf.

13.10.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Professor Martin Fellendorf forscht und lehrt an der Technischen Universität Graz über Verkehrssysteme. Foto: TU Graz

Professor Martin Fellendorf forscht und lehrt an der Technischen Universität Graz über Verkehrssysteme. Foto: TU Graz

Berlin. Beim weltgrößten Verkehrskongress ITS in Hamburg dreht sich bis Freitag alles um die Zukunft der Mobilität. Über 10?000 Experten aus über 100 Ländern kommen hier zusammen. Einer davon ist der Verkehrswissenschaftler Martin Fellendorf. Der Professor der Technischen Universität Graz erklärt, wie die Digitalisierung beim Klimaschutz helfen kann und ob Pakete bald mit Drohnen geliefert werden.

Der Verkehr zählt zu den größten Klimasündern. Wie kann die Digitalisierung helfen, CO2 im Verkehr einzusparen?

Martin Fellendorf: Ganz wichtig ist die stärkere Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Bisher war dieser gegenüber dem Individualverkehr im Nachteil. So fällt die Orientierung beispielsweise in einer fremden Stadt meist schwerer. Durch die Digitalisierung ändert sich das. Mithilfe von Smartphone-Apps kann dieser Systemnachteil aufhoben werden. Außerdem wird Ridepooling und Carsharing immer populärer. Die junge Generation ist mit dem Smartphone aufgewachsen und greift daher immer öfter auf diese Mobilitätsmöglichkeiten zurück.

Wie wichtig ist intelligente Verkehrslenkung für den Klimaschutz?

Lichtsignalsteuerung ist im städtischen Verkehr derzeit das wichtigste Verkehrsmanagementsystem. Dadurch lassen sich 10 Prozent Energie einsparen. Was jedoch am meisten bringen würde, ist die Einführung von Straßennutzungsgebühren und vordefinierten Routen, die befolgt werden müssen. Politisch ist das jedoch äußerst schwer durchsetzbar. Möglicherweise könnte sich die neue Regierung des Themas annehmen.

Was würde das denn bringen?

In Singapur gibt es auf den innerstädtischen Hauptverkehrsrouten bereits Straßennutzungsgebühren. Dort müssen Autofahrer abhängig von der Uhrzeit und der Auslastung auf der Route Gebühren zahlen. Bei höherer Nachfrage erhöht sich der Preis. Die Abrechnung läuft über eine Smart Card oder die Kennzeichenerfassung wie in London. Die Einführung von Gebühren hat den Effekt, dass Autofahren teurer wird und sich eine Lenkungswirkung entfaltet.

Doch dann können sich einige Menschen, die etwa auf dem Land wohnen, das Pendeln mit dem Auto nicht mehr leisten...

Das stimmt. Doch Autofahren ist derzeit zu billig. Es muss teurer werden. In Österreich machen wir gerade den Vorstoß einer ökosozialen Steuer. Das eingenommene Geld wird an diejenigen, die wenig verdienen, zurückgegeben. Es stellt sich aber auch die Frage, ob überhaupt so viel gefahren werden muss. Wer sich ein Häuschen im Grünen kauft, dort günstig baut und wohnt, der wird sich auch Mobilität leisten können.

Können autonome Autos zum Klimaschutz beitragen?

Ja. Wenn die Assistenzsysteme das Fahren auf Schnellstraßen gleichmäßiger machen können, kann der Energieverbrauch reduziert werden. So können in etwa 10 Prozent Energie eingespart werden. Allein mit intelligenter Verkehrssteuerung, autonomen Fahren und einem verbesserten öffentlichen Verkehr erreicht man die Klimaschutzziele nicht. Man muss das Autofahren auch unattraktiver machen, also zum Beispiel das Parken teurer machen, Parkplätze reduzieren oder Gebühren einführen.

Wann kommt denn das autonome Auto flächendeckend auf deutsche Straßen?

Ich denke, das wird noch 10 bis 15 Jahre dauern. Denn die Technik muss noch lernen, mit Witterungsbedingungen wie Nebel oder Starkregen oder dem unvorhersehbaren Verhalten von Fußgängern und Radfahrern zurechtzukommen. Auf der Autobahn, wo man sehr geregelte Situationen hat, wird das autonome Fahren deutlich früher kommen.

Auch Schwerlastdrohnen könnten Lieferverkehre reduzieren und CO2 einsparen. Bekommen wir unsere Pakete bald damit geliefert?

Ich kann mir Drohnen als Lieferanten in der Innenstadt noch nicht flächendeckend vorstellen. Denn die Drohnen haben ein großes Problem – und das ist der Lärm. Sie sind relativ laut und alle aerodynamischen Versuche, die Propeller leiser zu machen, waren noch nicht erfolgreich genug. Solange das Problem nicht gelöst wird, sehe ich Drohnen deshalb noch nicht unser Pakete liefern.

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Erstellt:
13.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2021, 06:00 Uhr

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