Französische Filmtage: Interview mit Med Hondo

Aus der Ferne schien Frankreich das Paradies

Med Hondo kam als Koch nach Frankreich und revolutionierte das Kino. In seinen Filmen blicken „die Söhne der Kolonien“ auf die bizarren Abgrenzungsmechanismen der Weißen.

02.11.2018

Von Dorothee Hermann

Aus der Ferne schien Frankreich das Paradies

Die Filme von Med Hondo sind auch nach 20 oder 50 Jahren noch spannend. Andererseits lassen sie einen erschrecken durch ihren genau beobachteten Rassismus. Der Filmemacher hat übelwollende Franzosen getroffen, neutrale Gesetzestreue und offene Menschen, mit denen man reden kann. Er hat liberale und repressive Phasen erlebt. „Sobald eine Gesellschaft Angst bekommt, verschließt sie sich ganz schnell wieder.“

Der 82-Jährige ist diesmal der Stargast der Französischen Filmtage, die ihm eine Werkschau widmen. Seinen Namen Abib Mohamed Medoun Hondo hat er schon vor langer Zeit abgekürzt. „Er hätte sonst nicht auf die Filmplakate gepasst“, so der aus Mauretanien stammende Regisseur im TAGBLATT-Gespräch.

Ende der 1950er Jahre war Hondo ein Pionier der Migration zwischen Afrika und Frankreich. Der gelernte Koch wollte in Frankreich seine Künste verfeinern. Nur dort verstehe man sich auf die wahre Küche, hatte er gehört. „In der Schule hat man uns gesagt, Frankreich sei das Paradies.“ Es habe ganz unterschiedliche Völker (Araber, Afrikaner) zusammengebracht und in einer wunderbaren Kultur vereinigt. „Da wollte ich dieses wunderbare Land kennenlernen.“

Es wurde ein raues Erwachen. Als erstes wurde sein Koffer geklaut. „Aber die Leute waren auch nett.“ Die Leute, die in Algerien und anderswo Krieg führten, waren noch nicht wieder zurück. Nachdem sie aus Algerien und Madagaskar hinausgejagt worden waren, verhärtete sich das gesellschaftliche Klima. „Sie waren nicht glücklich, wieder zurück zu sein.“

Kein Franzose wollte einen mauretanischen Koch einstellen. Hondo schlug sich durch, jobbte in Restaurants und schleppte Pakete. Zwischendurch kehrte er nach Hause zurück, überlegte, kam wieder nach Frankreich. Viel später wurde er als Chevalier de l’ordre des arts et des lettres geehrt. Geld für seine Filme erhielt er auch dann nicht. „Du bekommst so einen Anstecker, aber danach bist du wieder auf dich selbst zurückgeworfen.“

Sein preisgekrönter erster Spielfilm „Soleil Ô“ (1969) bezieht sich auf eigene Erfahrungen und Gespräche mit zahlreichen anderen Einwanderern. Man traf sich bei all den miesen Jobs, die schlecht bezahlt waren und die sonst keiner machen wollte. Der Filmemacher schildert das eher kühl und mit einigem schwarzen Humor. Ist er nicht wütend? Oh doch, er sei wütend über diese Welt, die immer mehr vor die Hunde geht, sagt er. Seit 50 Jahren hoffe er, die Welt durch das Kino in die richtige Richtung zu bringen. Es sei eigentlich eine exzellente Waffe dafür. „Aber die Welt bewegt sich immer weiter zurück.“ Das gelte auch für die Kinobesucher. Die Leute wollen immer weniger wissen vom Kino, so Hondo. „Sie verlieren das Bewusstsein ihrer Geschichte“ und fragten nicht mehr: „Woher kommt man? Wo steht man? Was hat man zu tun, welchen Dienst hat man der Welt zu erweisen?“

Einst gründete er in Paris eine Theatergruppe, um zu lernen, sich auszudrücken. Damit er erzählen konnte, was er und die anderen Söhne des Empire, der Kolonien, zu sagen haben. „Gemeinsam ist man stärker. Gemeinsam hört man uns besser.“ Sie wollten den Weißen signalisieren: „Vielleicht wäre es möglich, dass wir miteinander reden.“ Seinen ersten Theaterkurs absolvierte Hondo bei einem Monsieur Marcel in Marseille. Es war das französische Pseudonym eines Juden, den die Nazis verjagt hatten.

In seinem Politthriller „Lumière noire“ ist eine Massenabschiebung in Handschellen eine Schlüsselszene. „Die Migration geht weiter“, sagte der Regisseur am Donnerstag im Kino Museum. „Da könnt ihr Zäune und Mauern bauen so viel ihr wollt.“

Beim Dolmetschen aus dem Französischen half: Bärbel Mauch.