Film-Biografie

Luciano Pavarotti: Aus dem Familienalbum

Erinnerungen an Luciano Pavarotti: Hollywood-Regisseur Ron Howard hat eine Biografie des 2007 gestorbenen Superstars in die Kinos gebracht.

28.12.2019

Von Jürgen Kanold

Luciano Pavarotti, der umjubelte Superstar: ein Auftritt in China (eine Szene aus dem Dokumentarfilm „Pavarotti“. Foto: © Wild Bunch Germany Vittoriano Rastelli

Luciano Pavarotti, der umjubelte Superstar: ein Auftritt in China (eine Szene aus dem Dokumentarfilm „Pavarotti“. Foto: © Wild Bunch Germany Vittoriano Rastelli

Ulm. Als der Vorhang aufging, saß er schon da, ausgeleuchtet wie eine Ikone. Und er sollte sich dann auch keinen Schritt mehr bewegen in diesem Konzert. Auf seiner Abschiedstour war Luciano Pavarotti im Oktober 2005 noch ein letztes Mal nach Deutschland gekommen, in die Stuttgarter Schleyerhalle. Ein gebrechlicher 70-jähriger Weltstar, der mit gefalteten Händen ein „Ave Maria“ sang, der aber schon lange keine hohen Cs mehr herausschleudern konnte. Puccinis „Nessun dorma“, seinen größten Hit, bot der Italiener trotz flehentlicher Rufe seiner Fans nicht dar. „Ich werde siegen?“ Nein, ein sekundenlang geschmettertes „Vincerò!“ war im Sitzen nicht mehr drin. Es war ein anrührender, ein erschütternder Abend. Unvergesslich.

Keine zwei Jahre später war „Big P.“, war Luciano Pavarotti tot, gestorben am 6. September 2007 in seiner Heimatstadt Modena. Der Sohn eines Bäckers war nach Enrico Caruso, seinem Vorbild, der größte Tenor des 20. Jahrhunderts: die sonnigste, hellste Stimme, immer unverwechselbar Pavarotti. Ein Opernsänger, der zum Popstar avancierte: der gemeinsam mit Frank Sinatra „My Way“ intonierte, der mit Lady Diana befreundet war und mit U2 auf seinem Festival „Pavarotti and friends“ in Modena „Miss Sarajevo“ sang, um den Kindern des jugoslawischen Bürgerkriegs zu helfen. Pavarotti war ein Massenphänomen, spätestens als er mit den Kollegen Plácido Domingo und José Carreras 1990 in Rom, in den Caracalla-Thermen, aus Anlass der Fußball-Weltmeisterschaft im Trio auftrat: „Die drei Tenöre“ waren geboren und wurden eine Weltmarke weit über die Klassik-Grenzen hinaus. Viele Millionen verkaufter Tonträger, Stadion-Touren.

Davon kann die Klassik-Branche nur noch träumen. Pavarotti, der Drei-Zentner-Tenor mit dem riesigen weißen Taschentuch, bleibt unerreicht. Auch Domingo, mittlerweile 78 und mit heftigen MeToo-Vorwürfen konfrontiert, konnte diese Popularität nicht erreichen.

Regisseur Ron Howard und Nicoletta Mantovani, Pavarottis zweite Ehefrau. Foto: Tiziana Fabi/afp

Regisseur Ron Howard und Nicoletta Mantovani, Pavarottis zweite Ehefrau. Foto: Tiziana Fabi/afp

Seit Mitte der 90er Jahre freilich hatte auch Pavarotti noch ganz andere Schlagzeilen gemacht: eine quälende Scheidung von seiner Ehefrau Adua, Prozesse um Steuermillionen, eine Operation am Halswirbel, die Affäre mit der mehr als 30 Jahre jüngeren Ex-Sekretärin Nicoletta Mantovani, die er 2003 heiratete.

Der mehr oder weniger heilige Luciano Pavarotti – man kann sich der Legende jetzt im Kino nähern. Hollywood-Regisseur Ron Howard hat eine filmische Biografie herausgebracht, gefüttert mit sehenswertem Archivmaterial und mehr als 50 Interviews. Adua Pavarotti und die drei Töchter aus erster Ehe kommen zu Wort, auch die 50-jährige Nicoletta Mantovani, die symphatisch auftritt wie ein Double von Meryl Streep.

Was dieser Film aber nicht ist: eine kritisch hintergründig das Leben und Wirken Pavarottis analysierende Dokumentation. Es ist ein Porträt, das eher die Klischees bestätigt: ein schönes Erinnerungsalbum. Die großen Verletzungen, die der Tenor, der offenbar ein herzlicher Familienmensch war und der seine drei Töchter vergötterte, dann doch seinen Liebsten antat, werden nur angedeutet. Hoch emotional vergeben sie ihm. Was aber sehr zu spüren ist: Pavarotti hatte großen Witz, nicht nur kindischen und schelmischen Humor, und er besaß Sendungsbewusstsein, Charisma und Charme – ein Persönlichkeitsmix, der ihn an jedes gewünschte Ziel führte.

Luciano Pavarotti mit Nicoletta Mantovani. Foto: © Wild Bunch Germany

Luciano Pavarotti mit Nicoletta Mantovani. Foto: © Wild Bunch Germany

Was der Film auch nicht ist: sehr musikalisch. Pavarottis Gesang ist eher der Soundtrack einer Lebensgeschichte als die beispielhaft vorzuführende Kunst eines unvergleichlichen Tenors. Dabei beginnt Ron Howards Film mit einer wunderbaren Szene. Der schon ältere, gefeierte Pavarotti pilgert geradezu in den brasilianischen Regenwald, nach Manaus am Amazonas, wo im dortigen Opernhaus auch Caruso einst gesungen hatte. Werner Herzog erzählt eine solche leidenschaftliche Hingabe an die Oper in seinem Spielilm „Fitzcarraldo“ mit Klaus Kinski. In der „Pavarotti“-Biografie sind es Amateuraufnahmen, diffus, aber ehrlich, sie zeigen Pavarottis religiösen Glauben an die Musik. Aus dieser Ouvertüre hätte sich eine mitreißende Film-Oper entwickeln können.

Was man oft vergisst: Pavarotti sang nicht nur pathosvoll massenkompatibel, er war ein grandioser Tenor des Belcanto gewesen: in den besten Jahren mit schlanker, geschmeidiger Grandezza. Die neun hohen Cs in der Arie „Ah! Mes amis“ aus Gaetano Donizettis Oper „Die Regimentstochter“ kamen bei Pavarotti so sicher und strahlend wie ein Naturereignis. Auch da hätte Ron Howard mehr zeigen dürfen.

„Nessun dorma“ aber und auch der so herrlich gespielte Dreikampf der drei Tenöre 1990 in Rom bei „O sole mio“ schneidet Howard ungekürzt in die Biografie. Und das bleibt auch: die sonnigste Tenorstimme.

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Erstellt:
28.12.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 10sec
zuletzt aktualisiert: 28.12.2019, 06:00 Uhr

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