Kanzlerfrage

Auge um Auge in der Union

Bei CDU und CSU überschlagen sich die Ereignisse: Privatflieger werden gechartert und nächtliche Gespräche geführt. Steht die Entscheidung jetzt kurz bevor?

20.04.2021

Von ELLEN HASENKAMP

Markus Söder (links), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und CDU-Vorsitzender. Foto: Michael Kappeler/dpa

Markus Söder (links), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und CDU-Vorsitzender. Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin. Hinter der Union liegen turbulente Wochen. Während die Grünen ihre K-Frage geräuschlos klärten, reißt der Machtkampf zwischen CSUChef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet alte und neue Gräben auf. Am Abend diskutierte erneut der CDU-Vorstand, ein Ergebnis lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

Was geschah zuletzt? Die Ereignisse haben sich nach einer ohnehin schon dramatischen Woche förmlich überschlagen. Um kurz vor acht am Sonntagabend wurden CSU-Chef Markus Söder und seine engsten Mitarbeiter überraschenderweise in Berlin gesichtet. Angereist waren die Christsozialen mit einem Privatflieger von Nürnberg. „Wenn man schnell gerufen wird, muss man schnell entscheiden“, begründete Söder das außergewöhnliche und teure Verkehrsmittel. Generalsekretär Markus Blume versicherte umgehend, dass „selbstverständlich“ die CSU den Flieger bezahlt habe.

In der Hauptstadt traf Söder dann zu nächtlicher Stunde mit dem ebenfalls angereisten Laschet zusammen. Nach zahlreichen Telefonaten war es offenbar Zeit für ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das aber auch kein Ergebnis brachte.

Was will Laschet? Ebenfalls ziemlich überraschend trat der CDU-Vorsitzende am Montagmittag vor die Presse. Angekündigt wurde sein Statement als Reaktion auf die nur kurz zuvor erfolgte Kanzlerkandidatur der Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock. Aber das war natürlich nur ein Vorwand, den Laschet nutzte, um gleich mehrfach wahlweise ein „faires Miteinander“ und einen „fairen Wahlkampf“ zu beschwören. Dabei dürfte er vor allem an die unionsinternen Umgangsformen gedacht haben. Laschet brachte sogar noch eine Warnung vor den „polarisierten“ Verhältnissen in den USA unter. „Das sollten wir uns in Deutschland ersparen“, mahnte er, der seine Politik stets ausdrücklich unter das Motto „Zusammenhalt“ stellt.

Und Söder? Stimmlage und Botschaft des CSU-Manns klangen bei Söders Auftritt eine Stunde nach Laschet auffällig sanft. „Ich trage alles nicht nur mit meinem Verstand, sondern auch mit meinem Herzen voll mit“, lautete einer seiner Sätze. Seine Kandidatur zog Söder allerdings nicht zurück, bekräftigte vielmehr, weiterhin bereit zu sein, „Verantwortung zu übernehmen“. Das letzte Wort übertrug er dann der großen Schwester: „Die Entscheidung kann nur die CDU treffen.“ Das Ergebnis werde er „ohne Groll“ akzeptieren. Ähnliches allerdings hatte er schon vor einer Woche gesagt – mit bekanntem Ergebnis.

Wie geht es nun weiter? Den Ball hatte Söder damit aufs Feld der CDU gespielt. Bereits zuvor hatte Laschet für Montagabend seinen Bundesvorstand zu einer digitalen Sondersitzung zusammengerufen. Die begann am Abend um 18 Uhr mit Laschets Bekräftigung zur Kandidatur und seiner ausdrücklichen Aufforderung „zu einer offenen Debatte“. Die gab es dann auch. Nach über einer Stunde standen noch immer 40 Wortmeldungen aus. Gleich zu Beginn sprach sich Laschets Vorgängerin im Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, klar für den CDU-Chef aus. Dann wogte es teilweise hin und her. Parteivize Julia Klöckner beispielsweise berichtete von einem „eindeutigen Stimmungsbild“ pro Söder bei ihrer Parteibasis. Mehrere Redner, unter ihnen der Außenpolitiker Norbert Röttgen, warnten davor, eine Entscheidung beispielsweise per Abstimmung übers Knie zu brechen.

Wie ist es um den Rückhalt für Laschet bestellt? Strukturell war er als Chef der größeren Partei eigentlich in der stärkeren Position, trotz der großen Popularität Söders. Das gilt aber eben nur so lange, wie die CDU auch hinter ihm steht. Und da beginnen die Probleme: Gerade weil die CDU die größere Partei ist, sind hier innerparteiliche Risse immer viel wahrscheinlicher als in der CSU. Und diese waren in den vergangenen Tagen durchaus zu besichtigen. „Es geht letztlich um die CDU“, stellte auch Söder nüchtern fest.

Woher kommen die Zweifel? In der letzten Woche ist viel passiert – beispielsweise in den Reihen der Ministerpräsidenten. Außer Laschet und Söder stellt die Union fünf Regierungschefs. Drei von ihnen, Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt, Tobias Hans aus dem Saarland und Michael Kretschmer aus Sachsen, gingen mit Äußerungen an die Öffentlichkeit, die man vielleicht nicht als begeistertes Votum pro Söder werten muss, die aber auch keine klare Unterstützung des eigenen Parteichefs waren. Unmissverständlich für Laschet hat sich nur der schleswig-holsteinische Regierungschef Daniel Günther eingesetzt. Der Hesse Volker Bouffier wiederum verwahrte sich zwar gegen die Angriffe Söders auf die Entscheidungsgremien der CDU, versteht sich aber vor allem als Vermittler. Zuletzt wirkte es so, als gerate die CDU-Führungsriege, die zu Laschet hält, von zwei Seiten unter Druck: Von Söder auf der einen und der eigenen Basis auf der anderen. Seit dem Wochenende hatten sich jedenfalls Forderungen aus der mittleren und unteren CDU-Ebene gehäuft, Söder zu nominieren.

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Erstellt:
20.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 20.04.2021, 06:00 Uhr

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