Schulen

Aufschließen oder zulassen?

Präsenzunterricht auch bei hoher Inzidenz? Nein, sagt das Landratsamt Schwäbisch Hall. Es stieß im Ministerium auf harten Widerspruch.

16.03.2021

Von ELISABETH ZOLL

Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse der Johanniter Realschule Heitersheim sind in den Präsenzunterricht zurückgekehrt. : Foto: Foto

Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse der Johanniter Realschule Heitersheim sind in den Präsenzunterricht zurückgekehrt. : Foto: Foto

Schwäbisch Hall. Im Schenk-von-Limpurg-Gymnasium in Gaildorf war an diesem Montag ruhig. Keine Kinderstimmen drangen aus den Klassenräumen. Stille auch in den Schulen der Stadt Crailsheim. Dabei sollte doch an diesem Tag landesweit der Präsenzunterricht für Fünft- und Sechsklässler beginnen. Das Kultusministerium hatte eine schrittweise Rückkehr zum Regelbetrieb in den Schulen angekündigt. Ausnahme: der Landkreis Schwäbisch Hall. Dort hat das Landratsamt am Freitagabend die Reißleine gezogen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt weit über dem für die Öffnung vorgesehenen Wert von bis zu 100 Infektionen pro 100 000.

Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 217 knackt der Kreis als einziger in Baden-Württemberg die 200er Marke. Der überwiegende Teil der Infektionen – 70 Prozent – geht auf die britische Variante zurück, die als besonders ansteckend gilt. Besonders stark ist das Ausbruchsgeschehen in der Stadt Crailsheim. Dort wird aktuell eine 7-Tage-Inzidenz von 425,4 angegeben. Crailsheim hat sich damit zu einem bundesweiten Hotspot entwickelt. Das Ausbruchsgeschehen gilt als diffus.

Bei hohen Infektionszahlen können Landratsämter einen Sonderweg einschlagen. Das bestätigt das Kultusministerium. Für solche Fälle räume die Corona-Verordnung der zuständigen Behörde das Recht ein, Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen zu erlassen, betont Christine Sattler, Pressesprecherin des Kultusministeriums. Auch die Aussetzung der vorgesehenen Öffnung von Schulen.

Von Differenzen zwischen dem Sozialministerium und dem Kultusministerium über geeignete Schritte in Schwäbisch Hall oder gar von Druck des Ministeriums auf betroffene Schulleitungen will Christine Sattler nichts wissen. „Das weisen wir in aller Deutlichkeit zurück.“

Frank Zimmermann (CDU), Bürgermeister der Stadt Gaildorf, hat das anders in Erinnerung: „Das war definitiv so. Das Kultusministerium hat bis zum letzten Moment versucht, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln über die Schulleitungen die Öffnungen durchzusetzen. Von den Schulleitungen wurde mir berichtet, das Kultusministerium habe einen Juristen darauf angesetzt, die Frage des Hausrechts zu klären. Da ist eine Drohhaltung aufgebaut worden. Mein Eindruck war: Die Schulleitungen hatten richtiggehend Angst, dass ihnen da dienstrechtlich was passiert. Weder das Kultusministerium noch das Staatliche Schulamt haben sich in dieser Angelegenheit mit mir in Verbindung gesetzt, obwohl ich das mehrfach gefordert beziehungsweise angeboten hatte.“

Auch Landrat Gerhard Bauer (parteilos) spricht von Druck. „Am Freitagvormittag wurde von Seiten des Kultusministeriums noch mit rechtlichen Konsequenzen gegenüber Bürgermeisterinnen und Schulleiterinnen gedroht, falls die Schulen nicht öffnen.“ Um eine Öffnung zu verhindern, bestimmte das Landratsamt nach einem Erlass des Sozialministeriums in einer Allgemeinverfügung, dass im Kreis Schwäbisch Hall die Klassen 5 und 6 nur digital zuhause unterrichtet werden. In Grundschulen und sonderpädagogischen Einrichtungen soll Wechselunterricht erfolgen. Lehrer und Schüler werden verpflichtet, Mund-Nasen-Bedeckungen im Unterricht und auf den Pausenhöfen zu tragen. Eine Öffnung war wegen der hohen Inzidenzen nicht zu verantworten, betont das Sozialministerium.

Auch in anderen Landkreisen könnten Einschränkungen drohen. Die Marke von bis zu 100 Infektionen pro 100 000 Personen überschreiten der Alb-Donau-Kreis, der Hohenlohekreis, die Landkreise Rastatt und Sigmaringen sowie der Stadtkreis Mannheim.

Für die meisten Schüler ist am Montag aber etwas Normalität zurückgekehrt. 200?000 Fünft- und Sechstklässler werden wieder in Schulen unterrichtet. Die Grundschulen mit etwa 380 000 Schüler kehrten nach drei Wochen Wechselunterricht in den Präsenzunterricht zurück.

Der Philologenverband hält Schulöffnungen in voller Klassenstärke für leichtsinnig. „Die Inzidenz in Baden-Württemberg ist allein von Mittwoch bis Sonntag von 62,7 auf 75,9 gestiegen. Und dieser Anstieg beschleunigt sich weiter“, sagte Verbandschef Ralf Scholl.

Der stellvertretende Vorsitzende des VBE-Lehrerverbandes, Michael Gomolzig, plädiert hingegen für regionale Lösungen. „Letztendlich haben die Schulleiter vor Ort Verantwortung.“ Sie müssten abwägen. „Corona wird bleiben“, darauf müsse man sich mit regionalen Lösungen einstellen. (mit jhö)

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Erstellt:
16.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 50sec
zuletzt aktualisiert: 16.03.2021, 06:00 Uhr

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