Nationalmannschaft

Aufrichter auf Weltniveau

Der Bundestrainer setzt beim Spitzenspiel in Nordirland auf mehrere Akteure, die zuletzt erhebliche Formschwächen offenbarten.

05.10.2017

Von ARMIN GRASMUCK

Gezeichnet von dem grippalen Infekt, der ihn in der vergangenen Woche plagte: Bundestrainer Joachim Löw in Belfast. Foto: dpa

Gezeichnet von dem grippalen Infekt, der ihn in der vergangenen Woche plagte: Bundestrainer Joachim Löw in Belfast. Foto: dpa

Belfast. Nur zehn Grad, eisige Windböen und Dauerregen. Es gibt bessere Plätze als die Hauptstadt Nordirlands, um sich von einem grippalen Infekt zu erholen. Joachim Löw, der sich in der vergangenen Woche mit Schnupfen und leichtem Fieber plagte, ist zumindest rein dienstlich in Belfast. Er nimmt es professionell, auch weil er damit rechnet, dass ihm und seiner Mannschaft in der vorletzten Partie der Qualifikationsrunde für die Weltmeisterschaft 2018 heute (20.45 Uhr/RTL) selbst im Stadion gehörig der Wind um die Ohren pfeifen könnte.

„Es ist wie ein Finale“, sagte der Bundestrainer nach der Ankunft im Mannschaftshotel am östlichen Rand der 350?000-Einwohner-Metropole „Der Erste spielt gegen den Zweiten.“ Mit acht Siegen aus acht Partien und der beeindruckenden Tordifferenz von 35:2 führt seine Mannschaft die europäische Gruppe C an, die Nordiren liegen vor dem vorletzten Spieltag mit fünf Punkten weniger eigentlich abgeschlagen zurück. Doch die außergewöhnliche Heimstärke der Gastgeber, die seit vier Jahren keine Partie mehr im eigenen Stadion verloren, nötigte dem deutschen Coach gehörigen Respekt ab. „Mit den Fans im Rücken werden sie möglicherweise sogar alles oder nichts spielen“, sagte Löw.

Mit zehn Siegen aus zehn Spielen auf direktem Wege zur WM nach Russland, so lautet seine Vorgabe. Löw, der gerade Genesene, ist in Nordirland auch als Psychologe gefragt, weil viele seiner Spieler mit Formschwächen zu kämpfen haben und selbst gestandene Weltmeister unter außergewöhnlichen Umständen zu leiden scheinen. Stichwort Bayern. Die Platzhirsche Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng saßen unter dem zwischenzeitlich beurlaubten Klubtrainer Carlo Ancelotti selbst in Schlagerspielen wie zuletzt in der Champions League auf der Ersatzbank. Dagegen setzt Löw voll auf die Münchner Achse, Boateng wird nach einem Jahr ohne Länderspiel heute als Innenverteidiger in der Startelf auflaufen.

Der Bundestrainer muss den Kurdirektor geben, den Aufrichter und Motivator, obwohl die erfolglosen Auftritte der Bayern und der anderen deutschen Klubs vergangene Woche im Europapokal auch ihm schwer auf den Magen geschlagen haben. „Die sechs Spiele, die in der letzten Woche verloren wurden im internationalen Vergleich, sind ein wenig alarmierend“, sagte Löw mit dunkler Miene: „Wenn gesagt wird, die Bundesliga ist die beste Liga überhaupt, sollte man sich hinterfragen, ob das stimmt.“

„Wir genießen die Tage hier“

Von der Qualität der eigenen Mannschaft ist der Bundestrainer überzeugt, auch wenn er in Nordirland auf angeschlagene und längerfristig verletzte Spitzenkräfte wie Manuel Neuer, Sami Khedira, Mesut Özil, Mario Gomez und Senkrechtstarter Timo Werner verzichten muss. „Die Nationalmannschaft agiert auf Weltniveau“, sagte Verteidiger Hummels in Belfast. „Wir genießen die Tage hier.“ In der rauen Atmosphäre des Stadions Windsor Park können er und die Kollegen den Beweis antreten. Spieler mit der nötigen Härte und gesundem Selbstbewusstsein scheinen gerade besonders gefragt.