Für die Kleinsten eine Gefahr

Aufnahmestopp in der Tübinger Neonatologie bis auf weiteres verlängert

Die Tübinger Uniklinik nimmt weiterhin keine Frühchen auf: Ein Bakterium breitet sich aus, das sehr kleinen Frühgeborenen gefährlich werden kann.

09.09.2017

Von Madeleine Wegner

Jeder zweite Erwachsene trägt das Darmbakterium Enterobacter aerogenes in sich. Bei sehr kleinen Frühchen kann es zur Infektion führen.Archivbild: Metz

Jeder zweite Erwachsene trägt das Darmbakterium Enterobacter aerogenes in sich. Bei sehr kleinen Frühchen kann es zur Infektion führen.Archivbild: Metz

Seit einer Woche nimmt das Universitätsklinikum Tübingen (UKT) keine Frühgeborenen mehr auf. Grund dafür ist ein Darmbakterium, das bei mehreren Frühchen entdeckt wurde. Da die Ärzte nun bei einem weiteren Kind eine Besiedelung mit dem Bakterium festgestellt haben, hat das UKT den Aufnahmestopp bis auf weiteres verlängert. Schwangere, bei denen die Gefahr einer Frühgeburt besteht, kommen in die umliegenden Krankenhäuser.

Auf der Neonatologie sind derzeit die Hälfte der 16 Frühchen mit dem Bakterium besiedelt. „Allen sehr früh geborenen Kindern geht es gut“, sagt Prof. Dr. Christian Poets, Ärztlicher Direktor der Neonatologie und der neonatologischen Intensivmedizin.

„Das ist ein ganz normaler Darmkeim“, sagt Prof. Dr. Christian Gille, Oberarzt auf der Intensivbehandlungsstation für Früh- und Neugeborene. Gille ist zugleich Hygienebeauftragter. Jeder zweite Erwachsene trage das Bakterium in sich. Die Gefahr auf der Neonatologie jedoch ist: „Bei extrem Frühgeborenen kann das Bakterium eine Infektion auslösen.“ Das passiere selten. In Tübingen war bei einem der Frühchen eine Infektion ausgebrochen. Eine solche Infektion – also eine starke, unkontrollierte Vermehrung der Keime – äußert sich bei Frühchen meist als sogenannte Sepsis, als Entzündungsreaktion des gesamten Organismus‘ (umgangssprachlich „Blutvergiftung“). Sie wird, wie bei Erwachsenen auch, mit Antibiotika behandelt.

„Die meisten Infektionen heilen gut aus“, sagt Gille. Auch das erkrankte Frühchen sei mittlerweile vollständig genesen. Die Besiedelung selbst – wenn also nur das Baktierum nachweisbar ist, jedoch keine Infektion ausbricht – wird nicht behandelt. „Damit ist zurzeit keines der Kinder krank“, sagt Gille.

Bereits in der vergangenen Woche hatte die Klinik die mit dem Bakterium besiedelten Kinder von den anderen Frühchen getrennt. Sie werden nun auf zwei getrennten Stationen versorgt. „Das war eine große Umbauaktion“, so Gille, „wir sind ja auch eine Intensivstation.“ Zu den Vorsorgemaßnahmen gehörte, Personal und Eltern zusätzlich zu schulen. Spezielle Hygienemaßnahmen sollen eine weitere Ausbreitung verhindern. Dass dennoch ein weiteres Kind von dem Bakterium befallen ist, überrascht den Oberarzt nicht, weil bei Frühchen eine Besiedelung mit Bakterien nicht so stabil nachzuweisen sei wie bei Erwachsenen.

„Wir haben die Situation absolut im Griff“, fasst eine Sprecherin des Klinikums zusammen. Bei den Überprüfungen habe man „keinerlei Anhaltspunkte für Hygienemängel gefunden“, sagt Dr. Thomas Hierl, der beim Tübinger Gesundheitsamt für den Bereich Infektionsschutz zuständig ist. „Aus meiner Sicht macht die Klinik mit ihrem Hygienemanagement alles richtig und geht sehr sorgfältg vor“, sagt Hierl und lobt die Zusammenarbeit.

Reutlingen, Stuttgart, Böblingen, Esslingen, Filderstadt und Göppingen: Alle Kliniken mit einer entsprechenden Frühgeborenenstation in der Region hätten ihre Kooperation angeboten. „Wir sind den Kliniken sehr dankbar. Das hat sehr gut funktioniert“, sagt Gille. Bislang waren etwa ein Dutzend Schwangere betroffen.

Alle anderen Bereiche des UKT seien nicht betroffen. Selbst Risikoschwangerschaften würden ganz regulär versorgt, sofern keine Tendenz zur Frühgeburt besteht. Dennoch herrsche Verunsicherung unter den Patienten, sagte die UKT-Sprecherin. Für Krebspatienten oder andere Menschen mit einem geschwächten Immunsystem sei der Keim ungefährlich, betont Gille: „Das ist begrenzt auf die Kleinsten unter 1500 Gramm.“

Die Frühchen werden über einen Haut- und Rachenabstrich mittlerweile täglich auf das Bakterium untersucht. In den kommenden Tagen will das UKT entscheiden, wie lange der Aufnahmestopp bestehen bleibt.

Ursprung des Keims weiterhin unklar

Woher der Keim kam, ist noch nicht klar. „Wir sind an der Ursachenforschung nach wie vor dran“, sagte der Hygienebeauftragte und Oberarzt Christian Gille. Geräte und Oberflächen würden weiterhin nach dem Bakterium abgesucht. Gille ist jedoch wenig zuversichtlich: „In über 90 Prozent solcher Fälle können wir die Quelle auch nicht mehr identifizieren.“ Deshalb setze das Uniklinikum eher auf den umgekehrten Weg: „Wir verstärken die Bemühungen, um alle denkbaren Übertragungswege auszuschließen.“ Das Darmbakterium wird mutmaßlich nicht über die Luft, sondern über Berührung übertragen.