Angehört

Auf einem schmalen Grat

Die Israelin Noga Erez bedient mit ihrem zweiten Album „Kids“ den globalen Pop-Geschmack – doch bleibt gefährlich.

06.04.2021

Von MARCUS GOLLING

Noga Erez: "Kids" (City Slang/Roughtrade) Foto: City Slang/Roughtrade

Noga Erez: "Kids" (City Slang/Roughtrade) Foto: City Slang/Roughtrade

Ulm. Wie es sich anfühlt, im Fadenkreuz zu sein, an den Rand gedrückt zu werden – davon handelt die Popmusik nicht erst seit „Black Lives Matter“. Aber sie kann auch die gegenteiligen Geschichten erzählen, von Menschen, denen Gewehre in die Hand gedrückt werden, obwohl sie es nicht wollen. Noga Erez kommt aus Israel, genauer aus Tel Aviv, auch sie hat in der Armee gedient. Ihr elektronischer Pop erzählt oft davon, warum sich so vieles so falsch anfühlt, vor allem in diesem seltsamen Staat zwischen Konsumgesellschaft und Krieg.

„Kids“ (City Slang/Roughtrade), ihr zweites Album nach dem von der Kritik positiv aufgenommenen „Off the Radar“ mit der Mini-Hit-Single „Dance While You Shoot“, ist ein weiterer Schritt in Richtung internationaler Durchbruch. Zusammen mit ihrem Studio- und Lebenspartner Ori Rousso hat die 31-Jährige ihren Sound auf Augenhöhe mit globalen Pop-Standards gebracht, die Rhythmen kommen aus Hip-Hop und Dancehall-Reggae, die Sounds aus der Welt der Elektronik, Erez' nölende Vocals klingen nach einer pampigen Rihanna im Anklagemodus. Alles in griffigen, Spotify- und Radio-tauglichen Drei-Minuten-Songs, die oft gut gelaunt federn wie die Hits von Damon Albarns Cartoon-Band Gorillaz.

Massives Bassfundament

Trotzdem fällt Noga Erez' Musik aus dem Mainstream-Raster. Das liegt an sanften Orientalismen in manchen Melodien – und am massiven Tiefbassfundament, auf dem die Stücke gebaut sind: Es wummert und grollt bedrohlich, als könnte einem der Boden (am besten: der Tanzboden) jederzeit unter den Füßen wegbröckeln. Die Musikmaschinen leisten Schwerstarbeit und räumen sich ihren verdienten Platz im Vordergrund frei.

Geistig wegdämmern kann man auf diesem Bassbett nicht, die Texte holen einen schnell zurück in die Realität Israels und seiner Nachbarn, in der westlicher Hedonismus, Religion, Terror und Krieg aufeinanderprallen wie sonst wohl nirgendwo. Noga Erez tanzt auf dem schmalen Grat, „Fire Kites“ etwa handelt von Schmink-Tutorials und dem Gaza-Konflikt, das düstere „You So Done“ von innerer Leere und Todessehnsucht. So cool Noga Erez' Musik klingt: Sie bleibt gefährlich. Marcus Golling