Tübingen · Weihnachtsspendenaktion

Wo beginnt sexuelle Gewalt in sozialen Medien?

Die Welt der Sozialen Medien kann süchtig machen. Wo gibt es Grenzen, wo beginnt Übergriffigkeit oder gar sexualisierte Gewalt? Die Vereine „Tima“ und „Pfunzkerle“ fragten bei Jugendlichen nach.

21.01.2022

Von Christiane Hoyer

„Ein Koffer voller Sehnsucht“ heißt die mobile Ausstellung von Tima zur Prävention von EssstörungenBild: Ulrich Metz

„Ein Koffer voller Sehnsucht“ heißt die mobile Ausstellung von Tima zur Prävention von EssstörungenBild: Ulrich Metz

Die Gesprächsrunde in der Fachberatungsstelle von „Tima“ in der Weberstraße war coronabedingt zusammengeschrumpft. Und Fenja, Lilia und Dorothee können inzwischen ganz gut über ihren Konsum in Sozialen Netzwerken reflektieren, ohne allzu intime Details preisgeben zu müssen. Eines machten die 16 und 17 Jahre alten Schülerinnen aber deutlich: Der Einfluss von Plattformen wie Instagram oder Tiktok ist enorm. Da ist es gut, die vorgespielte Welt der Perfektion zu hinterfragen. „Es ist nicht alles so, wie es scheint“, sagt Dorothee. Wichtig sei es, „mit Gleichaltrigen darüber zu sprechen“.

Die Fachberaterin Lara Gebhardt-Brodbeck von Tima und Steven Keßler von Pfunzkerle haben bereits über die Präventionsprojekte „Herzklopfen“ und Lebenshunger reichlich Erfahrungen vermittelt bekommen von Jugendlichen und ihrem Umgang mit Social Media. Bei Fenja, Lilia und Dorothee begann es im Alter von 11 bis 13 Jahren. Alle drei bekamen von ihren Eltern für den Notfall ein Tasten-Handy. Gerade Lilia und Dorothee schildern, dass es anfangs über Internetzeiten am Computer, Handy und dann Smartphone „Streit und Kämpfe“ gab, fest vereinbarte Nutzungszeiten und von den Eltern gesperrte Zeiten. Fenja dagegen hat ihre Eltern eher als freizügig erlebt und sagt jetzt im Nachhinein: „Ich hätte mir mehr Kontrolle gewünscht.“ Sie selber ließ sich von Social Media „sehr oft vom Lernen ablenken“ und auch „negativ beeinflussen“. Die Körperbilder, die vor allem Influencerinnen auf Instagram vermitteln, führten bei ihr und einigen Freundinnen zu dem Gefühl: „Ich sehe nicht schön aus, ich bin zu dick, ich komme nicht gut rüber.“

Und wo, fragt Steven Keßler, kippt die Nutzung um in sexualisierte Gewalt oder in Übergriffigkeit? Da gibt es viele Beispiele. Zum Beispiel, wenn Mädchen in einem Fake-Account den Ex-Freund bloßstellen oder auch umgekehrt. Oder wenn junge Eltern Videos ins Netz stellen, wie sie ihre süßen Babys baden. Für Kinder, sagt die 17-jährige Gymnasiastin Dorothee, „ist es doch noch viel schwieriger einzuschätzen, wo der Übergriff beginnt als für Fachkräfte oder für Erwachsene“. Heute beginne die Social- Media-Nutzung in der Grundschule.

Lilia bekam mit 12 Jahren ihr Smartphone und war zunächst „gefesselt“ von der virtuellen Welt. Sie hat „nach Idealen“ für sich geschaut. Darüber verging die Zeit – bis zu zehn Stunden am Tag. Inzwischen verbringt sie lieber Zeit mit Freunden. Positive Effekte sehen sie, Dorothee und Fenja vor allem, wenn es um die Kommunikation für Projekte wie Fridays for Future geht oder wenn sich jemand, der auf dem Land lebt, „mit Freunden vernetzen kann“, so Dorothee.

Wo beginnt sexuelle Gewalt in sozialen Medien?

Trotzdem: „Social Media macht einem viele Komplexe“, sagt Fenja. Und das in einer Zeit, in der es vielen Schülerinnen und Schülern psychisch nicht gut geht. „Wegen Corona haben viele wieder Probleme, in der Schule anzukommen und stehen enorm unter Druck“, sagt Fenja. Auch Lilia berichtet von Freunden, die sich mit dem Online-Unterricht während der Pandemie schwergetan haben. „Manchen geht es so schlecht, die brauchen dringend Hilfe“, berichtet sie.

Wo finden Jugendliche, die nicht gleich eine Therapie machen wollen, Unterstützung? Tima bietet eine Onlineberatung an, berichtet Lara Gebhardt-Brodbeck. Auch Youth-Life-Line wäre eine Möglichkeit. Steve Keßler schlägt die Schulsozialpädagoginnen und -pädagogen als Anlaufstelle vor. Sie können mit Kontakt-Adressen weiterhelfen. Oder der Jugendgemeinderat könnte das Thema aufgreifen und auf die Tübinger Schulsozialpädagogen zugehen. „Freundinnen und Freunde mit ins Boot zu holen“, sei sicher auch wichtig. Sie könnten auch zu einem ersten Beratungsgespräch mitkommen, sagt Gebhardt-Brodbeck. Eine Botschaft möchten die Jugendlichen gerne an Jüngere loswerden: „Es ist nicht alles so perfekt in Social Media wie es rüberkommt. Macht euch nicht so viel Druck und hinterfragt die Aussagen und Angebote!“

TAGBLATT-Weihnachtsspende bis Ende Januar 2022

Spenden gehen auf das TAGBLATT-Konto bei der Kreissparkasse Tübingen (IBAN: DE94 6415 0020 0000 1711 11). Wer eine Spendenquittung benötigt, kann dies vermerken und in diesem Fall die vollständige Adresse hinzufügen. Bei Beträgen bis 300 Euro akzeptiert das Finanzamt einen Kontoauszug. Auch kann bei der Spende vermerkt werden. ob ein bestimmtes Projekt unterstützt (Projekt 1 „Tima“ oder Projekt 2 „Gärtnerei“), werden soll. Wegen der Datenschutzgrundverordnung werden die Namen der Spenderinnen und Spender in der Zeitung nicht mehr veröffentlicht. Das TAGBLATT speichert personenbezogene Daten (Vorname, Nachname, Adresse, Kontodaten, Spendenbetrag) ausschließlich zum Zweck der Durchführung der Spendenaktion und wegen möglicher Nachfragen zu Spendenquittungen (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO) für maximal sechs Monate. Tima möchte seine neue Fachberatungsstelle für Mädchen und Jungen gegen sexualisierte Gewalt mit Mobiliar und anderen fachbezogenen Gegenständen ausstatten.