Auf dem Weg ins „plünderungsfreie Leben“

Wirtschaft Ökonom Niko Paech zu Besuch bei der neuen ökologischen Regional-Genossenschaft Neckar-Alb „Xäls“.

17.11.2019

Von Monica Brana

„Wir brauchen einen Strukturwandel“: Das sagte Prof. Niko Paech am Freitagabend in der Hermann-Hepper-Halle. Stoßgebete in Richtung Brüssel und Berlin hätten sich nicht bewährt, also müsse der Wandel von den Menschen kommen, so der Siegener Professor für Plurale Ökonomik: Er beschäftigt sich beruflich mit Wirtschaftsweisen, welche die „physikalischen Grenzen“ der Erde genauso berücksichtigen wie gute und gerechte Lebensgrundlagen der Menschen.

Stellschrauben für ein „plünderungsfreies Leben“ in beide Richtungen präsentierte der studierte Volkswirt in seinem Vortrag „Regionale Wertschöpfung als Baustein einer Wirtschaft ohne Wachstum“. Künftig will er die neue Ökologische Genossenschaft „Xäls“ beraten, die Paech eingeladen hatte und die sich anschließend vor Hunderten Interessierten der Öffentlichkeit vorstellte.

Ob eine Reduktion des menschlichen Ressourcenhungers zum Erhalt der irdischen Lebensgrundlagen gleichzusetzen sei mit einem „Wohlstandsverlust“? Paech verglich das hiesige „Spätstadium der Konsumgesellschaft“ mit einem Heißluftballon, dessen Passagiere einen Goldschatz dabeihaben. Sei der Ballon auf Kollisionskurs mit dem Kölner Dom, würden die Fahrgäste Ballast abwerfen, um doch noch über das Gebäude zu fliegen.

Nachweislich nehme das Wohlbefinden hierzulande seit drei bis vier, in den USA seit fünf Jahrzehnten ab, sagte der 58-Jährige. „Der Körper setzt uns Grenzen“, zog Paech eine Analogie zwischen Mensch und Erde. Über das „menschliche Maß“ hinaus füllten viele ihren Alltag mit immer mehr Vorhaben, steigerten ihr Lebenstempo. Das Resultat: Symptome wie Depressionen und „digitale Demenz“ breiteten sich aus.

„Wir haben unsere Autonomie aufgegeben“, findet Paech: Er fordert robuste regionale Wirtschaftsstrukturen. Sie seien eine Ausweichmöglichkeit zum wackligen Kartenhaus der Wachstumsökonomie, das wegen seiner „Sollbruchstellen“ bei der nächsten „Weltkrise“, etwa dem Platzen der „Fracking-Blase“, rasch zusammenklappen könne.

Solch eine Stabilität in wirtschaftlichen „Störfällen“ habe schon der Salzburger Ökonom Leopold Kohr erkannt. Kleinere Wirtschaftsformen sah Kohr als widerstandsfähig und ökologisch verträglich an, Verantwortlichkeiten gingen zudem nicht in langen Prozessketten verloren.

„Wenn Sie Geld vernünftig anlegen wollen, kaufen Sie Genossenschaftsanteile“, ermunterte Paech die Zuhörer. Mit dem Verzehr von weniger und gutem Fleisch und mit viel mehr regionalen Lebensmitteln in den Regalen könnten die Deutschen bereits viel für den Planeten tun.

Nach Paech betrat Michael Schneider aus dem Xäls-Vorstand die Bühne. Er warb für Unterstützung des Vorhabens, schrittweise „alle Beteiligten“ in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb einzubeziehen: Erzeuger, Verarbeiter, Händler und Verbraucher (wir berichteten). Marktriesen könnten so nicht kleine Händler und Betriebe schlucken und diese zu gegenseitiger Konkurrenz statt zur Zusammenarbeit antreiben, sagte Schneider. Indes: „Wir können nur die Zukunft gestalten, wenn Sie das gut finden.“

Zum TAGBLATT sagte Schneider, Xäls sei lediglich ein Initiator: Jede Mithilfe sei willkommen. Marketingleute, Betriebe, Pädagogen und Interessierte sollten ihn einfach kontaktieren. Die Vorhabenliste von Xäls sei lang, das Budget begrenzt – unter anderem eine Geflügelschlachterei und Verarbeitungsbetriebe für Getreide und Eier sollen in die Region kommen.

Gegenüber dem TAGBLATT bestätigte Paech sein auf der Bühne vorgebrachtes Vorhaben, er wolle Xäls in einem Forschungsprojekt über die „embryonale Phase“ hinaus begleiten. Die Uni Siegen habe bereits einen Forschungsantrag beim Bildungsministerium gestellt.

Bio-Podium im Dezember

Am Mittwoch, 11. Dezember, laden das Umweltzentrum Tübingen und der BUND Regionalverband Neckar-Alb um 19.30 Uhr ins Schlatterhaus (Österbergstraße 2) zu einer Podiumsdiskussion mit dem Thema „Wieviel Bio brauchen wir? Und was ist uns der Artenschutz wert?“