Boxen

Auf Schmelings Spuren

Erstmals seit 85 Jahren gibt es wieder einen deutschen Schwergewichtsweltmeister. In Oberhausen gewinnt der Kölner Manuel Charr den WBA-Titel gegen den Russen Ustinow.

27.11.2017

Von DPA

Manuel Charr jubelt mit dem Weltmeistergürtel nach seinem Sieg gegen den Russen Alexander Ustinow in Oberhausen. Foto: dpa

Manuel Charr jubelt mit dem Weltmeistergürtel nach seinem Sieg gegen den Russen Alexander Ustinow in Oberhausen. Foto: dpa

Deutschland hat wieder einen Boxweltmeister im Schwergewicht. Manuel Charr heißt er, ist 33 Jahre alt und lebt in Köln. Der 1,92-Meter-Mann besiegte in Oberhausen den Russen Alexander Ustinow einstimmig nach Punkten (115:111, 116:111, 115:112) und sicherte sich den Titel der WBA (World Boxing Association) – so weit das Protokoll.

Der Sieg in dem spannenden Duell ist korrekt. „Deutschland, wir sind Weltmeister“, rief der im Libanon geborene Charr vor 5000 Zuschauern in der König-Pilsener-Arena überglücklich. „Diesen Titel widme ich Deutschland.“ Letzter deutscher Champion in der Liste der schwergewichtigen Berufsboxer war Max Schmeling, der von 1930 bis 1932 den Titel aller Klassen besaß.

Ein richtiger Nachfolger Schmelings ist Charr allerdings noch lange nicht. Ein Vergleich verbietet sich zum aktuellen Zeitpunkt geradezu, denn den Leistungsstand von Schmeling hat Charr bei weitem noch nicht erreicht. Zudem war das Niveau in dem Duell nicht WM-würdig. Vor allem der 2,02 Meter große Riese Ustinow war allenfalls Mittelklasse und hätte nie um den WM-Gürtel kämpfen dürfen. Aber Charr hat an diesem Abend etwas anderes Großartiges geschafft. Der einst vor dem Bürgerkrieg in seinem Geburtsland geflüchtete Sohn eines Syrers, der in seiner neuen Heimat Deutschland mit dem Gesetz in Konflikt geriet und vor Gericht stand, der vor zwei Jahren durch einen Bauchschuss lebensgefährlich verletzt wurde und vor dem Karriereende stand, der sich einer doppelten Hüftoperation unterziehen musste und dem damit erneut das sportliche Aus drohte, der Mann hat sich einen Traum erfüllt. „Ich habe mich durchgebissen“, jubelte er.

„Das macht ihn aus. Er hat den Menschen gezeigt: Auch wenn ihr am Boden liegt, könnt ihr wieder aufstehen, ihr könnt eure Probleme überwinden, ihr könnt schaffen, woran ihr vielleicht selbst gar nicht glaubt“, sagte Trainer Ulli Wegner, der als Co-Kommentator von Sky am Ring saß. Das Kampfniveau wollte der Sauerland-Coach nicht bewerten. „Ich bin zu sehr mit Manuel verbunden und gebe ihm Tipps am Telefon. Nur soviel: Der Russe hatte nichts drauf.“ Was der Verband WBA für einen Unfug mit Titelkämpfen betreibe, sei ohnehin schon reif für das Guinnessbuch der Absurditäten.

Medizinisches Wunder

Dass Charr vor sieben Monaten zwei Hüftprothesen eingesetzt wurden und er nach achtwöchigem Training im Ring stand, ist ein medizinisches Wunder. Normalerweise braucht der Mensch ein Jahr, bis er sich nach einer solchen Operation halbwegs normal bewegen kann, sagen die Spezialisten. Charr hatte die behandelnden Ärzte zum Kampf eingeladen, holte sie bei der nächtlichen Pressekonferenz auf die Bühne und herzte sie. Das macht den einst ins kriminelle Milieu abgedrifteten Charr sympathisch. Er feiert nicht nur sich selbst, sondern sein gesamtes Team. „Es ist genial. Was wir geschafft haben, wird in die Geschichte eingehen“, verkündete Charrs Manager Christian Jäger überglücklich.

Trotzdem ist sein Schützling in den Herzen der deutschen Boxfans noch nicht angekommen. Das Publikum in der Halle war arabisch geprägt. Es klang immer wieder Charrs Geburtsname Mahmoud durch das Oval, libanesische und arabische Fahnen waren im Zuschauerraum zu sehen. Charr, der seit anderthalb Jahren den deutschen Pass besitzt, hat aber die Chance, in der Publikumsgunst aufzuholen: Bei der nächsten Bewährungsprobe muss er sein Leistungsvermögen beweisen und alles aus sich herausholen. Die bisherigen Duelle gegen große Rivalen (Vitali Klitschko, Alexander Powetkin, Mairis Briedis) hat er verloren. dpa