Arbeitsmodelle für die Zukunft

Wie arbeiten wir in Zukunft? Wird der Roboter den Menschen ersetzen? Wird es ein Recht auf Homeoffice geben? Wie verändert sich das Handwerk? Und wäre es nicht viel entspannter, sich selbständig zu machen?

17.04.2020

Von Lisa Maria Sporrer|Fotos: Wolfram Scheible, Klaus Franke, Privat

Arbeitsmodelle für die Zukunft

Roboter übernehmen die Fertigung, Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Assistenten erobern das Dienstleistungsgewerbe und für nahezu jedes Produkt und jede Dienstleistung gibt es mittlerweile eine digitale Plattform im Internet. Es gibt kaum ein Thema, welches die Konzerne so sehr beschäftigt wie Digitalisierung und KI. Für einige Branchen dürfte das einer düsteren Prognose der Arbeit der Zukunft gleichkommen. Auch die Angst, dass niedrig qualifizierte Jobs künftig wegfallen werden, ist groß.

„Jede Technologie beeinflusst in unterschiedlichen Graden die Gesellschaft“, sagt Prof. Regina Ammicht-Quinn, Sprecherin des Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Uni Tübingen und Sprecherin des Cyber Valley Public Advisory Boards. Gerade, weil KI über das Potential verfüge, die Gesellschaft grundlegend zu verändern, müsse man zwingend auch über ethische Richtlinien sprechen, sagt Ammicht-Quinn. „Es muss eine gesellschaftliche Vereinbarung geben, in welchen kritischen Bereichen KI eingesetzt werden darf.“

Auf der Suche nach dem digitalen Gemeinwohl hat die 2018 zusammenberufene Datenethikkommission der Bundesregierung im vergangenen Jahr Leitlinien für Künstliche Intelligenz vorgeschlagen. Der Tenor: Ohne staatliche Kontrolle im Netz nehmen die Grundrechte Schaden. Eine Ethik sei aber kein Rechtssystem, sagt Ammicht-Quinn. „Wir haben keine Moralpolizei, die Erkenntnisse durchsetzen könnte. Wir brauchen aber klare rechtliche Regelungen, dass KI-Systeme beispielsweise die Privatheit, die Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen schützen. Und die KI-Systeme müssen sich daran messen lassen, ob sie transparent und verlässlich sind, die Privatheit schützen, nicht diskriminieren und umweltverträglich sind.“

Die neue Datenschutzverordnung habe dabei schon einen guten Grundstein gelegt. Jetzt müssten EU-weite Zertifizierungsprozesse folgen. Rechtliche Regelungen alleine würden aber nicht ausreichen, so Ammicht-Quinn. „Es geht auch um Fragen des Menschenbilds, dass hinter KI-Lernprogrammen steht.“

Manche Experten sehen durch die digitale Revolution in Deutschland Arbeitsplätze von 10 Millionen Beschäftigten bedroht. Zunehmend, so die Prognosen, seien auch anspruchsvollere Arbeitsplätze betroffen: Im Verkauf, der Buchhaltung bis hin zu Banken und Versicherungen. Dort übernehmen schon seit Längerem Computer und Maschinen einen großen Anteil der Arbeit.

Dass intelligente Roboter irgendwann massenhaft Jobs vernichten, lässt sich zumindest in Teilen vermeiden, sagt Ammicht-Quinn. „Einige Berufe werden wegfallen oder sind schon weggefallen“, sagt sie. Große Teile der herkömmlichen Fließbandarbeit seien mittlerweile automatisiert.

„Tatsächlich betrifft das aber nicht nur solche Bereiche.“ Auch Ärzte beispielsweise müssen in Zukunft lernen, mit KI-Systemen umzugehen. „Das geht quer durch fast alle Berufe“, so Ammicht-Quinn. Mit stärkeren Bildungsanstrengungen, „Fort- und Weiterbildungen auf allen Ebenen“, gebe es die Möglichkeit, auch in hochtechnisierten Bereichen der Arbeitswelt neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen“, sagt sie.

Klar ist: Die Digitalisierung wird viele Berufsbilder noch sehr viel stärker verändern als bisher. Im Holzbau etwa werden schon jetzt digitale Planungsinstrumente rege genutzt. So werden beispielsweise mittlerweile mehr als 50 Prozent der Projekte in 3D konstruiert. Digital gesteuerter, maschineller Abbund ist weitgehend zum Standard geworden. „Es gibt viele große Abbundzentren in der Region“, also Zentren, die Holzkonstruktionen vorbereiten, sagt Jan Baumgart, Vorsitzender der Zimmerer-Innung im Kreis Tübingen. „Dieser hohe Vorfertigungsgrad hat für unseren Beruf viel verändert. Früher haben wir das ja alles selber gemacht.“

Damit gehe auch ein Stück Handwerkskunst verloren, sagt Baumgart, der in seinem Betrieb „die holzverbindung“ Wert darauf legt, Hölzer auch noch eigenständig vorzubereiten, maßgerecht anzureißen und zu bearbeiten. „Sonst gehen schon in der Ausbildung traditionelle Elemente verloren“, sagt er.

Von Handwerkermangel sei bei den Zimmerern in der Region aber überhaupt nichts zu spüren. Arbeiten mit Holz an frischer Luft und am Ende des Tages ein Ergebnis zu sehen – das sei ein gutes Gefühl in einem vielfältigen Beruf, sagt Baumgart. Im Zuge der Digitalisierung hätten aber auch Zimmerer andere Arbeitsvoraussetzungen als früher: Weil viel vorgefertigt wird, könne man mehr Aufträge in kürzerer Zeit abarbeiten. Zwar würden auch einige Handwerker wie Maler, Dachdecker, Stuckateure und Gerüstbauer Drohnen einsetzen. Flächendeckend durchgesetzt hätte sich die Methode aber noch nicht, sagt Baumgart.

Das Coronavirus zwingt momentan viele Betriebe zum Experiment Homeoffice – etwas, das der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schon seit Jahren für etliche Branchen fordert. „Dass die Möglichkeit von Homeoffice nicht bei allen Berufsgruppen möglich ist, ist selbstredend“, sagt Angela Hauser, DGB-Kreisvorsitzende. Lokführer, Busfahrer, Krankenschwestern und auch Zimmerer können ihrer Arbeit etwa nicht im Homeoffice nachgehen.

Im Zuge der Digitalisierung hat sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren verändert: Dank Laptop und Smartphone haben sich die Grenzen zwischen Büroarbeit und Feierabend, zwischen Arbeitszeit und Urlaub zunehmend aufgeweicht. Besonders jüngere Menschen wünschen sich flexible Modelle. „Heimarbeit kann aber auch zusätzlichen Druck erzeugen. Vor allem, wenn sie im Unternehmen als nicht selbstverständlich gilt“, sagt Hauser. Dann nämlich könnten sich Beschäftigte im Homeoffice verpflichtet fühlen, mehr leisten zu müssen und über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu arbeiten.

Dennoch fordert der DGB seit 2018 einen Rechtsanspruch auf Homeoffice. Homeoffice ist aber nur einer der Bereiche, mit denen der DGB auf eine sich wandelnde Arbeitswelt eingehen will. Der DGB hat einen breiten gesellschaftlichen Dialog gestartet: den „Zukunftsdialog“. Vom angespannten Wohnungsmarkt über neue Arbeitszeitmodelle bis hin zu Verkehrskonzepten für die Zukunft sammeln der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften Ideen und Vorschläge für eine gerechtere Gesellschaft. Auch das Thema Digitalisierung steht auf seiner Agenda.

„Die Digitalisierung wird bis zum Jahr 2035 nur geringe Auswirkungen auf das Gesamtniveau der Beschäftigung haben, aber große Umbrüche bei den Arbeitsplätzen mit sich bringen“, sagt Hauser. Das jedenfalls erwarten das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und das Bundesinstitut für Berufsbildung. Im Jahr 2035 werden laut den Modellrechnungen aufgrund der Digitalisierung rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze abgebaut sein, im Einzelhandel etwa, bei Versicherungen und bei Banken.

„Andererseits führt die Digitalisierung zu annähernd genauso vielen neuen Arbeitsplätzen, zum Beispiel IT-Dienste, in der Forschung, im Unterricht“, sagt Hauser. „Unterm Strich wird es demnach keine größeren Beschäftigungsverluste geben.“ Trotzdem kommt auch auf den DGB mit der Globalisierung, neuen Technologien und einem sich wandelnden Arbeitsmarkt neue Anforderungen zu. Gewerkschaftspolitik im 21. Jahrhundert unterscheide sich aber nicht wesentlich von dem, was auch bisher gemacht wurde: „Gute Arbeitsbedingungen, faire Entgelte, Mitbestimmungsrechte, Gesundheitsschutz und generell die Vereinbarkeit von Leben und Arbeiten bleiben selbstverständlich für die Gewerkschaften auf der Agenda“, sagt Hauser.

Homeoffice ist aber erst der Anfang: Immer mehr Menschen wollen selbstbestimmt arbeiten. So wie Ina Timm, Landschaftsarchitektin aus Tübingen. „Ich kann mir meine Zeit selber einteilen“, sagt sie. Das sei der Vorteil einer Selbständigen. Ihr Büro ist in ihrem Wohnhaus. „Da kann ich mal eben zu meinen Kindern, wenn etwas ist.“

Früher hat Timm in Stuttgart gearbeitet. Das sei allein wegen der Fahrzeit uneffektiv gewesen, sagt sie. Zwei Stunden war sie täglich unterwegs. Seit 14 Jahren plant sie nun selbständig. Am Anfang sei es langsam losgegangen, eine Durststrecke habe sie aber nie gehabt. Der Bedarf von Privatpersonen, sich einen schönen Garten gestalten und anlegen zu lassen, sei hoch. Das Thema Wasser, Pool, Hanglage und Natursteine sei momentan hoch im Kurs, sagt Timm.

In einem ersten unverbindlichen Gespräch, schaut sie sich mit ihren Kunden den zukünftigen Garten an. Danach fertigt sie einen speziell auf das Grundstück und die Wünsche abgestimmten Entwurfsplan. Auch für die Suche nach einem Gärtner ist die Landschaftsarchitektin zuständig. „Da gibt es aber mittlerweile lange Wartezeiten“, sagt sie. Denn Gärtner sind momentan Mangelware. Von einem halben Jahr Vorlaufzeit spricht Timm bei der Gärtnersuche. „Dann lohnt sich das Warten aber auch in den allermeisten Fällen.“

Die Flexibilität, die Selbständige haben, schätzt Timm besonders: „Wenn ich mittags etwas ausruhen will, kann ich das machen. Ich kann auch Aufträge ablehnen, die ich nicht machen möchte.“ Das sei als Angestellte eher schwierig. Natürlich gebe es auch Zeiten, in denen die Gartengestaltung nicht so nachgefragt sei, sagt sie. Im Winter etwa, bei zweistelligen Minusgraden. Im Frühjahr aber boome der Wunsch nach einem schöneren Garten. Und wenn sie wirklich mal nichts zu tun habe, schreibe sie Bücher, sagt Timm. So hat sie etwa bereits eine Anleitung zum Entwurf von Privatgärten publiziert.

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Erstellt:
17.04.2020, 07:30 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 09sec
zuletzt aktualisiert: 17.04.2020, 07:30 Uhr

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