Büro

Arbeit ins rechte Licht rücken

Alnatura macht es, Brainpool auch: Die Zahl der Unternehmen wächst, in denen die Raumgestaltung einen?neuen Arbeitsstil und die Gesundheit der Mitarbeiter fördern soll.

26.06.2021

Von WILFRIED URBE

Auch dank eines offenen Dachfirsts ist am Alnatura-Firmensitz Tageslichtnutzung in allen Stockwerken möglich. Foto: Lars Gruber

Auch dank eines offenen Dachfirsts ist am Alnatura-Firmensitz Tageslichtnutzung in allen Stockwerken möglich. Foto: Lars Gruber

Ulm. Die Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt ist ein beeindruckendes Gebäude. In die komplett aus Lehm gefertigte Fassade sind Heizspiralen eingearbeitet, die bei Bedarf über eine geothermische Wärmepumpe gespeist werden. Auf dem Dach befindet sich eine über 480?Quadratmeter große Photovoltaikanlage. Das klimaneutrale Bauwerk, das Platz für 500?Mitarbeiter bietet, ermöglicht Tageslichtnutzung in allen Stockwerken durch großzügige Raumhöhe und lichtoptimierte Gebäudegeometrie mit einem offenen Dachfirst.

„Uns ging es ja nicht nur allein um einen neuen physischen Standort, sondern wir wollten mit dieser Umgebung auch die Grundlage für neue Arbeitsweisen ermöglichen.“ So erklärt die Markenverantwortliche des Bio-Großhändlers, Tina Schneyer, den Ursprung des Konzepts. „Alles hier ist auf Dialog ausgelegt.“ Rückzugsmöglichkeiten fürs ungestörte Arbeiten gibt es aber auch, mit Sesseln, die über hohe Außenwände verfügen, wo Telefonate geführt oder kleinere Besprechungen abgehalten werden können.

„Wir haben hier keine festzugeordneten Schreibtische, nur feste Bereiche“, erklärt Schneyer. Das soll auch Kreativität und Flexibilität fördern, wenn es um Lösungen im Job geht. Zur Anlage gehören unter anderem ein vegetarisches Restaurant, Pachtgärten für die Belegschaft sowie ein Waldorf-Kindergarten.

Schneyer sieht die Besonderheit im „Citizen-Office-Konzept“ – nach dem ein Arbeitsort wie ein kleines Dorf konzipiert ist – mit unterschiedlichen Zonen für unterschiedliche Tätigkeiten. Dafür wurde das Darmstädter Unternehmen 2020 von der Bundesregierung mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur ausgezeichnet.

Aber nicht nur die Bio-Branche legt verstärkt Wert auf ein nachhaltiges und gesundes Arbeitsumfeld. Das Personal des Medienunternehmens Banijay Deutschland etwa hat die Möglichkeit geschaffen, kostenlos bis zu achtmal die Woche an Online-Yoga-Kursen teilzunehmen, um sich so fit zu halten. Und beim TV-Produzenten Brainpool wurden 150 höhenverstellbare Tische für alle Mitarbeiter angeschafft.

Damit liegt das Kölner Unternehmen im Trend, wie das Vorstandsmitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg René Pier bestätigt. „Es gibt eine klare Tendenz hin zu motorisch verstellbaren Tischen, wenn es um die Gestaltung eines gesunden Arbeitsplatzes geht. Es gibt praktisch kein Unternehmen mehr, das starre Tische erwirbt.“ Damit sollen Beweglichkeit und Agilität gefördert werden. Starres Sitzen sei ungesund, ebenso ständig zu stehen, ein Wechsel dagegen ideal.

Der Stuttgarter Innenarchitekt verweist auf die Corona-Pandemie. „Das hat ein Thema wie ,Gesundheit' von einem privaten in den öffentlichen Bereich gerückt.“ Mit der Zunahme von Homeoffice müssten Bürolandschaften zudem mehr mit den Bedingungen zuhause mithalten können.

„Vor allem jüngere Menschen haben ein erhöhtes Bewusstsein“, sagt Pier. „Angesichts des Fachkräftemangels spielen zudem die Zusatzangebote rund um einen nachhaltigen und gesunden Arbeitsplatz eine immer größere Rolle.“

Dennoch ist das Bewusstsein für Gesundheit am Arbeitsplatz dem Geschäftsführer des Instituts für Baubiologie und Nachhaltigkeit IBN in Rosenheim, Winfried Schneider, zufolge immer noch zu wenig beleuchtet – auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. „Bei unseren Untersuchungen stoßen wir oft auf Mängel.“ Gesundheitsschädliche Emissionen aus Möbeln, Bodenbeläge, die Lösungsmittel abgeben, oder Klimaanlagen, aus denen Schimmelpilze in die Raumluft gelangen. Dabei könne man häufig mit einfachen Maßnahmen für Verbesserungen sorgen.

Vor einigen Jahren seien etwa an einem neuen Standort eines Unternehmens in Velbert in Nordrhein-Westfalen im ersten Jahr vermehrt Klagen aus der Belegschaft über Nackenverspannungen, Kopfschmerz, Übelkeit, Atemreiz, Schwindel gekommen, berichtet der Architekt. Die Krankmeldungen seien auf ein bisher nicht gekanntes Maß angestiegen.

Experten schaffen Abhilfe

Messungen belegten dann in dem Gebäude starke elektrische und magnetische Felder. Die Ursache: Kunststoffschreibtische, Stahlrohrstühle, Synthetikteppiche und dampfdichte Vinylschaumtapeten. Hinzu kamen ungeerdete elektrische Geräte, Kabel, die die Tische derart unter Spannung setzten, dass die Mitarbeiter bei Berührungen bis zu 40?Volt Spannung aufbauten.

An den Arbeitsplätzen kam es zu bis zu 2500 Nanotesla magnetischer Flussdichte. Nachdem Experten Abhilfe geschafften hatten, sank die Zahl der Krankmeldungen um etwa 40?Prozent.

Zwischen 1994 und 2000 beschäftigte sich die Pro-Klima-A-Studie mit dem „Sick Building Syndrom“ in Deutschland. Das Fazit dieser und anderer Studien zeigt: Persönliche Faktoren, die Tätigkeit und die Benutzerfreundlichkeit des Arbeitsplatzes sind genauso entscheidend für das Auftreten des Sick-Building-Syndroms wie die Einflüsse des Bürogebäudes. Schneider: „Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist stark davon abhängig, wie sehr der Einzelne individuell auf seinen Arbeitsplatz einwirken kann – über Sonnenschutz, Beleuchtung, Temperatureinstellung oder Luftzufuhr.“

Leitung muss Gespür haben

Der Kölner Unternehmensberater Michael Lück hat beobachtet, dass es nicht ausreicht, nur auf die physische Umgebung zu achten. „Die Menschen wollen gesehen, gehört, wahrgenommen werden“, ist Lück überzeugt. „Wenn die Führungskräfte dafür kein Gespür haben, dann nützen auch die schönsten Möbel nichts.“ Über Hardware könne man solche Softskills nicht vermitteln, dazu gehöre eine entsprechende Unternehmenskultur.

„Wenn Arbeitgeber schon darüber nachdenken, wie sie ihren Mitarbeitern ein optimales Arbeitsumfeld bieten, werden sie in den meisten Fällen auch eine entsprechende Firmenkultur verwirklichen wollen“, sagt Lück. Schneider, der Geschäftsführer des Instituts für Baubiologie, ergänzt: „Allein wenn Arbeitnehmer den Eindruck erhalten, dass der Arbeitgeber sich um ihr Wohlergehen kümmert und dafür investiert, erhöht sich die Zufriedenheit am Arbeitsplatz.“

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Erstellt:
26.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 26.06.2021, 06:00 Uhr

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