Kommentar · Palmer schwächt mit „Nonsens“ seine Reputation

Applaus von Rechten, Zorn und Spott aus der eigenen Partei

Er hat es wieder getan – und kein Mensch versteht weshalb. Boris Palmer forderte im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“, gewaltbereite Flüchtlinge auch nach Syrien abzuschieben. Auch dort gebe es Gebiete, in denen kein Krieg herrscht.

07.08.2016

Von Renate Angstmann-Koch

Symbolbild: Sommer

Symbolbild: Sommer

Damit hat sich Palmer zwar Applaus von einschlägiger Seite verschafft. Vor allem aber provozierte er Kritik, gar zornigen Spott aus seiner Partei.

„Klassischer Palmer-Nonsens. Bürgerkriegsflüchtlinge haben völkerrechtlich garantierten Schutzanspruch“, schrieb die Grünen-Vorsitzende Simone Peter auf Twitter. „Von Tübingen aus lässt sich einfach darüber nachdenken, ob und wohin man nach Syrien abschieben könnte“, erklärte bissig Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. Parteichef Cem Özdemir empfahl, sich mal mit den tatsächlichen Zuständen in Syrien zu befassen: „Ich bezweifle, dass er dann immer noch so leichtfertig von Abschiebungen in dieses geschundene Land spricht.“

Nun will es Palmer mal wieder nicht gewesen sein. Das Interview „war in keiner Weise für große Schlagzeilen gedacht“, klagt er via Facebook: „Im Internet entsteht gerade wieder ein klassischer Shitstorm.“ War das für ihn als Medienprofi, der präzise zu formulieren versteht, etwa nicht absehbar?

Was reitet Palmer, was bezweckt er mit Äußerungen, mit denen er sich in seiner Partei immer stärker isoliert und seine Reputation als ernst zu nehmender Politiker schwächt, weil sie weit entfernt davon sind, Lösungsansätze zu bieten? Ist es allein der Drang, vor dem Urlaub groß rauszukommen? Ist es der Glaube, die Rechtsdrift stoppen zu können, indem man ansatzweise die Rhetorik der Rechten übernimmt? Oder ist es die Lust, gegen den Stachel zu löcken?

   Nach der Silvesternacht in Köln eckte Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende der Linksfraktion des Bundestags, ähnlich an: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt“, erklärte sie damals. Nach den jüngsten, verstörenden Gewalttaten verzichtete auch Palmer auf Differenzierung. Er konstruierte einen Zusammenhang zwischen München, Reutlingen, Würzburg und Ansbach – und warf damit entschieden zu viel in einen Topf.

Soweit heute bekannt ist, ermordete in München ein hier geborener Deutsch-Iraner mit rechtsterroristischem Hintergrund gezielt Menschen ausländischer Herkunft. In Reutlingen tötete ein vermutlich psychisch kranker Mann seine Freundin. In Ansbach und Würzburg waren wohl Täter mit islamistischem Hintergrund aktiv.

Die Vorstöße Boris Palmers sind so ärgerlich, weil er es eigentlich besser wissen müsste. Von Politikern seines Potenzials darf die Öffentlichkeit Genauigkeit erwarten. Wo sieht er die Grenze der „Gewaltbereitschaft“, mit der ein Geflüchteter sein Asylrecht verwirkt? Genügt Schlägern oder muss es ein Tötungsdelikt sein? Soll „Abschiebung in ein unsicheres Herkunftsland“ als neue Sanktion neben Geld- oder Haftstrafen treten? Genügt das bisherige Strafrecht nicht? Und was geschieht mit Gewalttätern deutscher Staatsangehörigkeit? Manches Mal würde es schon helfen, die Dinge vor dem Herausposaunen zu Ende zu denken. .