Weil das Fernsehprogramm schlecht war

Anton Toth lässt Musiker auf seiner Couch spielen und stellt die Sessions auf Youtube

„Antons Couch“ heißt eine auf Youtube gerne angeklickte Musiksession-Serie. Ein Wohnzimmer, eine Couch, ein Wunschkonzert für den jeweils eingeladenen Gastmusiker, ein musikalisch unterstützender Gastgeber. Aufgenommen, hochgeladen, fertig. Wir haben Anton im wahren Leben ausfindig gemacht. Und waren bei einer Session dabei.

30.08.2016

Von Peter Ertle

Tübingen. Eine Studentenbude in einem Wohnblock irgendwo auf WHO. Hier steht sie: Antons Couch. Ich kenne sie von den gleichnamigen Videos auf Youtube. Antons Rezept ist einfach und erfolgreich: Er lädt sich Musiker ein, meistens jeweils einen, manchmal auch mehr. Musiker, die noch nicht so bekannt sind, die nirgends unter Vertrag stehen, denn die brauchen keine Genehmigung, um ihre Songs zu spielen. Probleme mit der Gema? Gab es noch keine. Antons Gäste sagen, welche Lieder sie spielen wollen, so drei, vier sind es in der Regel. Dann wird ein bisschen geprobt. Meist begleitet Anton sie an der Gitarre. Und meist spielen die Gäste selbst auch Gitarre, es waren aber auch schon andere Instrumente im Einsatz, Posaune, Klavier, Schlagzeug.

Manchmal singen die Gäste auch nur. So wie heute. Heute ist Almut Göhring sein Gast. Fürs Video ist sie einfach Almut. Ach so, ja: Anton heißt bürgerlich Toth. Im Netz spielen Nachnamen keine Rolle. Wir halten uns hier mal ans Netz. Almut sitzt schon auf der Couch, als ich komme. Zwei große Mikrophone stehen auf dem Couchtisch und auch die Kamera steht schon bereit. Denn wenn genug geprobt ist, nimmt Anton alles auf und stellt es auf Youtube.

Und genug geprobt ist hier schnell. Nicht weil die Musiker auf Antons Couch so schnell zufrieden wären. „Wenn man den Song zehnmal probt, ist bei der Aufnahme das ursprüngliche Feeling weg“, weiß Anton aus Erfahrung. Und Almut wäre sicher nicht mehr so gut bei Stimme, denn, wow, als sie loslegt, vergisst man erst mal alles. Eine samtig-raue Latin-Funk-Soulröhre. Ja, sie hat auch Gesangsunterricht gehabt, berichtet sie, bei Freya Casey.

Almut studiert in Tübingen, Anton auch, Deutsch und Englisch. Musik ist ihrer beider große Leidenschaft. Almut spielt unter anderem in der Bigband der Uni Tübingen. Auch Anton hat schon in Bands gespielt. Obwohl sein Gitarrenspiel Soul-geprägt ist, kann er sich überall schnell einfügen, das ist eine Grundvoraussetzung für Antons Couch. Man muss sich nur vorstellen, dass er früher mal in einer punkigen Band gespielt hat, demnächst aber eine Band mit deutscher Volksmusik in den USA bei einigen Gigs begleitet. Außerdem bastelt er an einer CD mit eigenen Kompositionen, manches auf Deutsch, manches auf Englisch.

Ein Freund riet Anton vor Jahren, er solle seine Sachen doch ins Netz stellen, so hätten andere auch was davon. Im Prinzip ist es immer noch dieser simple Gedanke, der hinter Antons Couch sitzt, jetzt eben als Spielangebot für alle ausgeweitet. Konkret angefangen hat er damit eines Abends vor vier Jahren, als das Fernsehprogramm so unglaublich schlecht war. Wofür schlechtes Fernsehen alles gut ist! Heute ist Antons Couch für ihn auch so etwas wie ein persönliches Fotoalbum. Die bisherigen Musiker kamen aus Antons Musikerfreundschaften. Er ist aber auch schon zu Jamsessions auf WHO gefahren und hat Musiker gefragt, ob sie Lust hätten, bei ihm zu spielen. Einige hatten.

Sängerin Almut Göhring und Hausherr Anton Toth an der Gitarre nehmen „What a wonderful world“ auf (und für) Antons Couch auf.Bild: Sommer

Sängerin Almut Göhring und Hausherr Anton Toth an der Gitarre nehmen „What a wonderful world“ auf (und für) Antons Couch auf.Bild: Sommer

Die Abrufzahlen pro Video liegen bei einigen hundert bis über tausend. „Wenn es mir nur um Klickzahlen ginge, würde ich jeden Song einzeln hochladen“, sagt Anton, auf dessen Videos auch mal drei Songs hintereinander zu hören sind. Dann ist man rasch bei zehn bis 15 Minuten. Für einen Internetuser schon eine Hürde. Aber tausend Klicks sind ja nicht nichts.

Almut hat sich „What a wonderful world“ gewünscht, in einer betont souligen Fassung. Es ist Nachmittag, die Nachbarn sind arbeiten und eine Posaune oder Trompete sind heute nicht am Start. Oder Schlagzeug. Hatter er auch schon. Das kann natürlich schon mal ein Problem sein. Das Keyboard steht zugedeckt an der Wand. Anton hat es sich extra gekauft, für die Tastenspieler unter seinen Gästen. Aber da kommen nach wie vor eher die Gitarristen. Nein, Geiger hat er noch keine gehabt. Die instrumentelle Vielfalt wäre ausbaubar.

Nach der Aufnahme sitzt Anton Stunden an der Bearbeitung des Videos. Dabei geht es weniger ums Schneiden, es ist ja kein Spielfilm. Das Problem ist die Synchronisation von Stimme und Bild. Mittlerweile hat er einiges an Erfahrung. Seine Kompetenz ist auch immer wieder bei Mitschnitten von Konzerten oder dem Anfertigen von Demobändern gefragt. Für Freunde ist er da sehr entgegenkommend. Bei anderen Anfragen „habe ich halt meinen Preis“, sagt er.

Nicht mehr lange und das Staatsexamen steht an, dann weiß Anton nicht, inwieweit er überhaupt noch zur Musik kommt. Und seine Leidenschaft zu professionalisieren – davor hat ihn sein Vater gewarnt. Der ist Berufsmusiker beim Landespolizeiorchester Stuttgart.

Antons Couch ist nicht das einzige Format, das er im world wide web zur Welt gebracht hat. Es gibt dort unter anderem auch die „Disney Sessions“. Anton ist von Kindheit an ein Fan Whalt Disneys. „Die Musik scheint einfach, hat es aber in sich“, weiß er. Auf „Antons Toth Music“ wiederum sind einige selbstgeschriebene Songs zu finden. Dann gibt es die sogenannten „Jogginghosen Sessions“, zusammen mit der Musikerin Caren Heim. Die heißen so, weil beide Jogginghosen und Hausschuhe bei den Aufnahmen tragen. Auf „Tribute to my favorite songs“ finden sich gecoverte Lieblingssongs. In „Antons Summer Sessons“ sitzt Anton mit Freunden statt in seiner Wohung im Botanischen Garten und nimmt Sonsg auf.

Die Aufnahme mit Almut ist der 16. Take in der Reihe „Antons Couch“, eigentlich der 17. Aber einen durfte er nicht veröffentlichen. Das kann natürlich vorkommen, dass ein Musiker sich in der Session für nicht gut genug hält. Kein Problem. Anton macht es eh in erster Linie für the spirit of the music. Musik als ehrlicher Ausdruck der Emotion, wobei sich unglückliche Gemütszustände besser eignen, zumindest beim Komponieren, weiß er. Anton jobbt an der Kasse eines Supermarkts, dort hat ihn schon mal ein Kunde wiedererkannt und ihm auf den Kopf zugesagt, er sei ein großer Melancholiker. Und Anton? Fühlte sich erkannt.

Musikalisch schlägt sich die Melancholie in einem gewissen Soul-Timbre nieder, das Anton als Gitarrenmitspieler gern in die Sessions mit einfließen lässt. Seine Gäste bekommen Speis und Trank, Druck gibt es keinen, auch die Ankündigung und gesamte Präsentation im Netz hat etwas Entspanntes und betont handgemacht-Unprofessionelles. Von diesem Charme lebt das Ganze. Und dann findet sich hier eben doch ab und an eine tolle Stimme, ein tolles Gitarrenriff, eine unvermutete Interpretation. Und Weiterklicken zur nächsten Session.

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Erstellt:
30.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 18sec
zuletzt aktualisiert: 30.08.2016, 01:00 Uhr

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