Zeitreise · Entringen

Antheris Schwert und Rösser

Entringens Boden ist voller historischer Schätze. Manfred Falkenberg will sie für die Nachwelt bewahren. Derzeit widmet er sich den Spuren der Alemannen.

08.04.2019

Von Uschi Hahn

Über 1500 Jahre lag der dreijährige Hengst unberührt in der Entringer Erde. Im April 1999 grub der Archäologe Jürgen Hald sein Skelett aus. Noch im selben Jahr wurde in der Zeppelinstraße ein zweites Pferdegrab entdeckt. Die beiden Hengste flankierten das Grab eines alemannischen Kriegers, das bereits 1927 gefunden wurde. Für den Ritt nach Walhall hatte man ihm unter anderem ein goldenes Schwert mitgegeben. Archivbild: Gerhard Groebe

Über 1500 Jahre lag der dreijährige Hengst unberührt in der Entringer Erde. Im April 1999 grub der Archäologe Jürgen Hald sein Skelett aus. Noch im selben Jahr wurde in der Zeppelinstraße ein zweites Pferdegrab entdeckt. Die beiden Hengste flankierten das Grab eines alemannischen Kriegers, das bereits 1927 gefunden wurde. Für den Ritt nach Walhall hatte man ihm unter anderem ein goldenes Schwert mitgegeben. Archivbild: Gerhard Groebe

Manchmal sprechen Namen Bände. Zumal, wenn es sich um Ortsnamen handelt. Entringen zum Beispiel verweist alleine durch seine Endung ingen auf eine Siedlung der Alemannen. In dem Namen steckt aber auch der Hinweis auf den mutmaßlichen Gründer des größten Ammerbucher Ortsteils: Antheri. Entringen bedeutet mithin „bei den Leuten des Antheri“.

Aber Antheri hinterließ den Entringern vermutlich nicht nur seinen Namen. Im württembergischen Landesmuseum werden in einer Vitrine Grabbeigaben gezeigt, die 1927 auf einem Grundstück in der Zeppelinstraße neben dem Skelett eines Mannes geborgen wurden: eine Bronzeschale, ein Elfenbeinkamm, verziert mit Tierköpfen, eine Lanze, ein Becher aus Glas – und ein Schwert mit vergoldetem Griff und blauer Perle. Um 460 nach Christus wurde der Mann begraben, ausgestattet mit den Insignien von Macht und Utensilien, die ihm ein Leben im Jenseits angenehm machen sollten. „Es waren sehr hochstehende Leute, die mit so einem Schwert ausgezeichnet wurden“, sagt Manfred Falkenberg. Fürsten etwa. Ortsherren. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dem Kriegerfürst um Antheri handelt.

Falkenberg, 81, sammelt seit geraumer Zeit alles, was auf die Alemannen in Entringen hinweist. Er gehört zum inneren Zirkel im Förderkreis Heimatgeschichte Ammerbuch. Gemeinsam mit dem gebürtigen Entringer Reinhold Bauer arbeitet der selbst aus Pommern stammende und seit 1954 in Entringen lebende Falkenberg an einer Dokumentation über die Alemannen am Käsbach. Was anfangs als kleinere Broschüre geplant war, hat sich längst zu einem veritablen Buchmanuskript ausgewachsen: 108 Seiten mit Bildern und Texten über die vielen Ausgrabungen, die in Entringen immer wieder Spuren der Alemannen zutage befördern. Im Moment ist der Verein auf der Suche nach einem Verlag. Erscheinen könnte das Buch noch in diesem Herbst, kündigt Falkenberg an.

Auf bisher 108 Seiten hat Manfred Falkenberg all das Wissen über die Alemannen in Entringen gesammelt. Bild: Ulrich Metz

Auf bisher 108 Seiten hat Manfred Falkenberg all das Wissen über die Alemannen in Entringen gesammelt. Bild: Ulrich Metz

Angeregt zu dem Werk über die Alemannen wurde Falkenberg durch einen TAGBLATT-Artikel im Oktober 2017, in dem es gar nicht um die Alemannen ging. Vielmehr berichteten wir über die Überreste einer Siedlung aus dem Neolithikum, die Tübinger Archäologen am südlichen Ortsrand von Entringen ausgruben – Spuren der ersten Ackerbauern, die vor etwa 7200 Jahren aus den Südkarpaten auf der Balkanroute an den Käsbach kamen und im Ammertal für eine Kulturrevolution sorgten.

Als Falkenberg den Artikel las, fiel ihm nicht nur der spektakuläre Grabfund von 1927 in der Zeppelinstraße ein. Er dachte auch daran, dass bereits 1904 ganz in der Nähe der jungsteinzeitlichen Siedlung das Grab eines alemannischen Kriegers entdeckt worden war. Die Bestattung im Geisbühl wird auf die Zeit um 480 nach Christus datiert. Die Funde – darunter ebenfalls ein wertvolles Schwert – werden heute im Schloss Wachendorf bewahrt, dem Sitz der Familie von Ow, denen noch heute Schloss Hohenentringen gehört.

Und dann gab es ja noch die beiden Pferdegräber, die im Jahr 1999 im Abstand weniger Monate in der Zeppelinstraße gefunden wurden: die Skelette zweier Hengste, drei und acht Jahre alt. Vermutlich hat man sie lebendig in die Grube gezwungen und dann getötet. Zwischen ihren Gräbern lag der Mann mit dem goldenen Schwert. Die beiden edlen Rösser sollten ihm den standesgemäßen Ritt nach Walhall ermöglichen – dem ewigen Ruheort tapferer Krieger.

An der Zeppelinstraße wurden im vergangenen Jahrhundert noch einige andere Gräber aus der Alemannenzeit gefunden. Zwar war keines so prächtig ausgestattet wie das des mutmaßlichen Ortsgründers Antheri. Aber sie zeugen immerhin von einem lange genutzten Friedhof.

Weitere Grabfunde gab es 2013 beim Ausbau der Zehntscheuer. Bei den Skeletten handelt es sich aber wohl um die sterblichen Überreste der sehr frühen Christen in Entringen.

Manfred Falkenberg hat alles dokumentiert, was er über die alemannischen Spuren in Entringen finden konnte. In Stuttgart fotografierte er Antheris goldenes Schwert in der Vitrine. Demnächst wollen er und andere aus dem Förderkreis nach Wachendorf fahren, um die Schätze des jüngeren alemannischen Kriegers vom Geisbühl für das Buch abzulichten. Tagelang verbrachte er im TAGBLATT-Archiv, um die verschiedenen Berichte über die Ausgrabungen zu kopieren.

Aber weshalb macht sich Falkenberg die Arbeit? „Es interessiert mich halt“, sagt er. Allein die „Fülle der Ausgrabungen“ faszinieren ihn. Mit dem Buch will er das Wissen über die Alemannen in Entringen bündeln. Und die Geschichten um die Funde herum bewahren: „Das weiß heute ja niemand mehr, wie das gelaufen ist.“

Auf gewisse Weise wird das Buch den Alemannen in Entringen auch ein Denkmal setzen. Denn das fehlt bisher bei den Nachfahren von Antheris Leuten.

Als Kind aus Pommern geflüchtet

Manfred Falkenberg lebt seit 1954 in Entringen. Geboren ist er 1938 in Westpreußen, genauer gesagt in Pommern in dem Dorf Freudenfier, heute Szwecja, im Kreis Deutschkrone. 1945 flüchtete die Familie zwar in Richtung Westen, wurde zunächst aber in Polen festgehalten. Erst 1947 wurden die Falkenbergs ausgewiesen, „weil wir nicht Polen werden wollten“, wie Falkenberg sagt.

Sein Interesse an Heimatgeschichte erwachte, als er 1986 zum ersten Mal nach Szwecja zurückfuhr. Insgesamt 13 Mal war er seither dort. Mit den neuen Besitzern seines Elternhauses hat er ein gutes Verhältnis. „Ich habe dort schon oft übernachtet“, berichtet Falkenberg.

Bis zur Rente vor 20 Jahren hat Falkenberg als Elektrotechniker bei der EVS in Herrenberg gearbeitet. 1989 begann er gemeinsam mit Reinhold Bauer die Entringer Geschichte aufzuarbeiten.

Sein nächstes Projekt hat er bereits im Kopf. Er will die Zeit des Nationalsozialismus und die Zeit der französischen Besatzung in Entringen aufarbeiten. „Aber erst müssen die Alemannen fertig werden“, sagt der 81-Jährige.


Eine interaktive Karte mit allen Zeitreise-Stationen gibt es unter zeitreise.tagblatt.de.

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Erstellt:
08.04.2019, 17:55 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 48sec
zuletzt aktualisiert: 08.04.2019, 17:55 Uhr

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