Obdachlos in Tübingen

Anna-Marias gutes Herz

Seit eine Tübinger Altstadtbewohnerin den vor ihrem Haus bettelnden František Balász auf einen Kaffee einlud, entstand eine enge Freundschaft.

28.12.2017

Von Peter Strigl

Anna-Maria Bizer kümmert sich um den Obdachlosen František Balász. Sein neuer Hund Fotoš hat sie schon ins Herz geschlossen. Bild: Metz

Anna-Maria Bizer kümmert sich um den Obdachlosen František Balász. Sein neuer Hund Fotoš hat sie schon ins Herz geschlossen. Bild: Metz

Vor etwa einem halben Jahr bat Anna-Maria Bizer den vor ihrem Haus bettelnden František Balász auf einen Kaffee zu sich herein. „Weil ich ihn so nett fand“, sagt die 58-Jährige. Sein Lächeln hat es ihr angetan. Seitdem kommt er durchschnittlich zweimal die Woche zum Kaffeetrinken vorbei, seit die Winterkälte Einzug gehalten hat, auch um sich aufzuwärmen.

Franz, wie er sich selbst vorstellt, ist aus der Slowakei und seit mittlerweile sechs Jahren in Deutschland, vier davon hat er in Tübingen verbracht. Auch wenn er kaum Deutsch spricht, hat Anna-Maria Bizer einiges von seiner Lebensgeschichte in Erfahrung bringen können Unter anderem, dass František Balász zuhause noch eine Frau, drei erwachsene Kinder und sieben Enkel hat. Er ist nach Deutschland gekommen, um für seine Frau und sich zu sorgen, denn seine Rente von monatlich 190 Euro reicht kaum, um seine eigenen Medikamente zu finanzieren. Balász ist zuckerkrank und leidet außerdem an Polyneuropathie, einer Schädigung des Nervensystems durch Diabetes. Deswegen kann er auch nicht seinem alten Beruf als KFZ-Mechaniker nachgehen.

In Deutschland verdient er beim „Arbeiten“, wie die Obdachlosen untereinander sagen, an manchen Tagen genug, um seiner Frau etwas per Western Union zukommen zu lassen. Er selbst schläft zusammen mit einem anderen Obdachlosen in seinem 20 Jahre alten Bus, alles andere wäre zu teuer. Der Kälte trotzen sie dank einer TAGBLATT-Annonce Bizers neuerdings in Daunenschlafsäcken.

Obwohl sie Balász viel hilft, hat auch Anna-Maria Bizer von der Freundschaft mit dem freundlichen Slowaken profitiert. „Franz tut mir gut, er ist einfach entspannt.“ Oft habe sie asymmetrische Beziehungen geführt. „Es gibt Leute, die kennt man jahrelang und da kommt nichts zurück. Viele wollen auch überhaupt nicht an sich arbeiten, da schwätzt man gegen eine Wand.“

Er dagegen habe „Stil“: „Wenn er eine Decke benutzt, legt er sie danach zusammen. Er denkt auch an mich.“ Einmal hat sie ihn nach einem Euro für Tabak gefragt. Mit den Worten: „Zigaretten fünf Euro“, habe er ihr einen Schein in die Hand gedrückt. Auch habe er den ersten Schlafsack seinem Freund aus dem Bus gegeben, da dieser noch nicht einmal eine Decke hatte.

Kürzlich wurde sein anderer Freund, ein Terrier namens „Foxi“, von einem größeren Hund totgebissen. František Balász vermisst ihn jeden Tag, auch wenn er inzwischen einen neuen hat: Fotoš. Mit dem hat er sich allerdings noch nicht so ganz angefreundet, er sagt: : „Foxi guter Hund. Fotoš ungarisch Hund. Viel fressen, Kopf kaputt.“ Dass František Balász oft traurig ist, macht Bizer zu schaffen. Wenn sie sieht, wie er erfolglos und durchgefroren von draußen kommt, tut ihr das weh. Manchmal kann sie ihn aufheitern, dann dankt er es ihr mit seinem Lächeln und sagt: „Anna-Maria gutes Herz, gute Dame“.

Über die Zukunft haben die beiden noch nicht gesprochen – nicht nur aufgrund der Sprachbarriere. Allgemein scheint František Balász wenig Perspektive zu haben. „Solange er noch kann wird er wohl weitermachen“, glaubt Bizer. Doch bereits jetzt ist er auf eine Gehilfe angewiesen und trägt eine Tasche voll mit Medikamenten mit sich herum. Das Leben auf der Straße setzt ihm zu, wie 58 sieht er nicht mehr aus.

Mitte Dezember ist er in seinem alten Bus in die Slowakei gefahren, dort wird er wegen seiner Diabetes behandelt. Weihnachten verbrachte er bei seiner Familie, bevor er im Januar zurück nach Deutschland kommt, arbeiten.

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Erstellt:
28.12.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 28.12.2017, 01:00 Uhr

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