Leitartikel zu Aktien-Indizes

Anleger in der digitalen Ödnis

Wieviele Börsenindizes gibt es wohl weltweit? 10, 100, 1000? Nein, mehr als drei Millionen. Viele Profi-Anleger lassen sich maßgeschneidert den Verlauf unterschiedlicher Papiere in Kennzahlen anzeigen.

20.09.2021

Von Ellen Hasenkamp

Frankfurt/Main. Wer soll da noch den Überblick behalten? Gut, dass es ein Aktienbarometer gibt, dem die Deutschen vertrauen: Dax. Der Deutsche Aktienindex zeigt den Börsenwert 30 wichtiger Papiere wie Siemens, BASF, Daimler und Deutsche Telekom. Von Montag an wird es die Entwicklung von zehn Papieren mehr sein, den die Kennzahl im Wirtschaftsteil der Zeitung und abends vor der Tagesschau abbildet.

Das klingt nach wenig – und ist es auch. Während in Großbritannien 100, in Japan 225 und in den USA 500 Aktien in den wichtigen Indizes enthalten sind, kommt der Dax nun gerade mal auf 40. Damit spiegelt er die allgemeine Zurückhaltung der Deutschen bei Aktien wieder. In anderen Ländern ist die Börse wie selbstverständlich ein Ort, sein Geld arbeiten zu lassen und den Ruhestand finanziell abzusichern. Deutsche sind – auch durch den Absturz der Telekom-Aktie Anfang des Jahrtausends – scheuer.

Erst langsam ändert sich die Investitionsbereitschaft. Nach aktuellen Umfragen nahmen nun weitere Millionen ihr Herz in die Hand und wagten den Sprung an die Börse. Gründe sind anhaltende Niedrigzinsen, vermutlich aber auch schlicht Langeweile in der Pandemie. Statt sich an Einzel-Aktien zu versuchen, greifen viele Neu-Aktionäre zu sogenannten ETFs – die wie maßgeschneidert für Deutsche scheinen: Abgebildet werden Indizes wie der Dax. Eine Art Über-Dax also. Geht es dem Dax gut, geht es den Aktionären der ETFs gut. Ein beliebter ETF bildet die Kursentwicklung von rund 1600 Aktien aus Indizes von 23 Industrieländern ab. Die Chance, Schiffbruch zu erleiden, ist – vor allem langfristig gesehen – niedrig.

Indizes sind also der Hit. Wie fragwürdig aber ihre Zusammensetzung ist, zeigt ausgerechnet der Dax. Nach der größten Änderung in seiner 33-jährigen Geschichte sind seine Papiere wenig vorwärtsgewandt. Mit dem Modehändler Zalando und dem Kochboxen-Verkäufer Hellofresh geht zwar eine Tür in die Online-Welt auf. Doch Airbus, der Chemikalienhändler Brenntag, die Familienholding Porsche repräsentieren die alte Welt. Siemens kommt nun dreimal im Dax vor, wird die Absplittung Infineon dazu gerechnet, sogar viermal. Die Neuen werden auch nur ein Gewicht von um die 15 Prozent am neuen Dax haben.

Dazu kommt, dass beim Dax mit einem Rechentrick gearbeitet wird: Während die meisten anderen Leitindizes der Welt in ihren Kurven nur Kursgewinne abbilden, rechnet die Börse in den Dax wieder angelegte Dividende dazu.

Die Kurs-Entwicklung des Deutschen Aktienindex war in den vergangenen Jahren verglichen mit US-Börsen verhalten, das dürfte sich auch nicht ändern. Dafür hätten die Türen weiter geöffnet werden müssen, etwa für 50 oder 60 Werte. Große Investoren sehen beim Dax digitale Ödnis. Aber vielleicht mögen deutsche Anleger den Dax ja gerade deshalb.