„Gefahr für die Rechtspflege“

Angeklagter Jurist wurde 2013 aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen

Anders als erwartet, gab es am gestrigen Montag am Amtsgericht noch kein Urteil gegen den ehemaligen Reutlinger Anwalt, der jahrelang Mandantengelder veruntreut haben soll.

08.12.2015

Von Matthias Reichert

Reutlingen. Der 53-Jährige muss sich, wie berichtet, wegen 19-facher Untreue vor dem erweiterten Schöffengericht verantworten (siehe Kasten). Er verlor 2013 die Zulassung als Anwalt, da er Beiträge zur Pflichthaftpflichtversicherung nicht zahlte.

Eine frühere Versicherung hatte ihm schon 2010 gekündigt, weil er 400 Euro vom Jahresbeitrag nicht entrichtet hatte. Diese Versicherung hatte in zwei Fällen Forderungen gegen ihn getragen: Einmal hatte er keinen Prozess eingeleitet, ein andermal war das Verfahren durch sein Verschulden verjährt. Der zweiten Versicherung blieb er einen ganzen Jahresbeitrag à 1200 Euro schuldig. Zuvor stand die Versicherung in vier Fällen für seine Versäumnisse gerade. Der Angeklagte ist einschlägig vorbestraft. 2010 kassierte er einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 150 Euro, weil er 33 000 Euro, die er von einer Versicherung erstritten hatte, nicht sofort an den Mandanten weitergeleitet hatte. Zugleich hatte er 66 000 Euro für eigene Zwecke vom Geschäftskonto entnommen. Das Geld sei für Darlehens-Rückzahlungen gewesen, sagte der Angeklagte. Die Anwaltskammer verhängte eine Buße von 22 000 Euro – die er auch nicht gleich bezahlen konnte.

In einem weiteren Strafbefehl verhängte das Amtsgericht 2012 sechs Monate Haft auf Bewährung. Ebenfalls wegen Untreue – er hatte ein erstrittenes Schmerzensgeld in Höhe von 3500 Euro nicht ausbezahlt, sondern für seinen Lebensstil und Verbindlichkeiten verwendet, wie es in der Urteilsbegründung hieß.

2007 hatte er sich selbstständig gemacht. Seine Kanzlei wurde später aufgelöst. Der Rechtsanwalt, der die Abwicklung übernahm, musste sich den Zutritt und die Herausgabe von Akten per einstweiliger Verfügung erstreiten. Der Angeklagte ließ ihn nicht in die Räume. Zudem habe er unberechtigterweise Handakten an andere Anwälte weitergereicht.

Damals war ihm bereits die Zulassung entzogen worden. Das Gericht der Anwaltskammer sprach ihn wegen der Vorwürfe, wegen der er jetzt vor den Strafrichtern steht, schon 2013 der anwaltlichen Pflichtverletzung schuldig. Das Kammergericht urteilte, von dem Mann gehe eine Gefahr für die Rechtspflege aus. Deshalb wurde er aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen.

Gegen ihn lief ein Insolvenzverfahren, er war hoch verschuldet. Vor dem Schöffengericht bestritt der Ex-Anwalt, dass das wegen seines Lebensstils war. Doch laut Insolvenzverwalter lebte er mit Familie in einer Fünf-Zimmer-Villa mit großem Garten. Seine Immobilien verkaufte er – das reichte aber nicht, alle Schulden zu tilgen. Der Angeklagte fuhr auch dann noch BMW, als sein eigenes Auto gepfändet war.

Nach dem Verlust der Zulassung heuerte er bei der Firma seiner Ehefrau als Berater an – für 600 Euro im Monat. Sein Verteidiger sagte, der Mann habe den Überblick über die vielen Verbindlichkeiten durch die eigene Kanzlei verloren. Weil er gestern zum Arzt musste, konnte der Angeklagte nur einen Teil der Verhandlung verfolgen. Das Verfahren wird am 16. Dezember fortgesetzt.

Info:Richter: Eberhard Hausch, Sierk Hamann; Schöffen: Gisela Wörz, Eckhard Hennenlotter; Anklage: Burkhard Werner; Verteidiger: Martin Felsinger.

Immer wieder Gerichtsgebühren nicht weitergeleitet

Der Angeklagte soll als Anwalt Mandantengelder veruntreut haben; der Schaden beläuft sich auf fast 50 000 Euro. Zumeist kassierte er einige hundert Euro Gerichtsgebühr, reichte aber keine Anklage ein. Dadurch verjährten manche Fälle, ohne dass die Mandanten Ansprüche geltend machen konnten. Einmal hatte der Anwalt nach einem ärztlichen Kunstfehler 16500 Euro Schmerzensgeld erstritten und die Summe nicht an die Mandantin weitergeleitet.