Abschied im Bergcafé

Am Donnerstagabend schließt auf dem Reustener Kirchberg eine Institution

Fast 20 Jahre war Ioanna Savidu Pächterin des Bergcafés auf dem Reustener Kirchberg. Nun muss sie raus aus dem Refugium überm Ammertal für Akademiker, Mosttrinker und müde Wanderer.

30.03.2016

Von Mario Beisswenger

Mit einem herzlichen Dankeschön an die Gäste und die toleranten Reustener Nachbarn verabschiedet sich Bergcafé-Pächterin Ioanna Savidu. Bild: Faden

Mit einem herzlichen Dankeschön an die Gäste und die toleranten Reustener Nachbarn verabschiedet sich Bergcafé-Pächterin Ioanna Savidu. Bild: Faden

Reusten. „Ich konnte die ersten Wochen gar nicht drüber reden.“ Ioanna Savidu war geschockt, als sie vergangenen Herbst erfuhr, dass sie raus muss aus dem Bergcafé. Fast 20 Jahre war die Gastronomie-Institution ihre Heimat: Oben hat sie gewohnt, unten als Pächterin die Wirtschaft umgetrieben.

Inzwischen ist die 51-jährige Griechin wieder gefasst. Der Ostertrubel im Café wollte noch bewältigt sein, außerdem hat sie auch selbst wieder eine klare Perspektive. Sie bleibt in Reusten wohnen und wird ab Mai das Casino der Flugsportler in Poltringen betreiben.

Christa Hahn-Haupt als Besitzerin habe sich sehr fair verhalten, ihr bis Ende 2016 Zeit gelassen zum Suchen einer Alternative. Savidu hat auch Verständnis, dass die Familie das Haus nun selbst nutzen will – und das Bergcafé nach einer Umbauphase bis Ende 2017 vielleicht wieder zugänglich macht (siehe Infobox). Aber der Abschied von der Institution, die vor gut 60 Jahren die Schwestern Marie und Sophie Haupt eröffneten, fällt Savidu trotzdem schwer.

1997 kam sie in die Wirtschaft als „Perle“. Sie sollte Marie Haupt nach dem Tod ihrer Schwester Sophie helfen. 2003, nach dem Tod auch von Marie Haupt, übernahm sie die Pacht von deren Nichte Christa Hahn-Haupt.

Den Stil der Haupt-Schwestern hat sie fortgesetzt. Nichts wurde in der Wirtschaft mit der Original-Einrichtung von 1954 verändert. Fast nichts am Essen. Nur dass es neben selbst gemachten Kuchen und schwäbischen Gerichten nun auch griechische Vorspeisenplatten gab. Und noch etwas änderte Savidu: Die Wirtshauswände über der Vertäfelung boten nun auch Platz für die ambitionierten Bilder lokaler Künstler.

In den beiden Wirtsräumen und auf der Terrasse blieb es aber bei der entspannten Stimmung, in der Arbeitslose und Uni-Professoren an den wenigen Tischen auf Augenhöhe miteinander in Kontakt kamen. Wer einmal vom Zauber der egalitären Bergcafé-Gesellschaft berührt war, kam immer wieder.

Im Gästebuch kann Savidu die Lebensgeschichte mancher Besucher nachvollziehen. Von den Besuchen als Student, der Heirat, der goldenen Hochzeit bis zu den Kindern als Gäste der nächsten Generation. Es tauchten auch schon Globetrotter auf, die bei einem Gespräch mit Deutschen in der Sahara oder bei den Niagara-Fällen den Tipp bekommen hatten, unbedingt das Bergcafé besuchen zu müssen, wenn sie denn mal in Deutschland seien.

Spätestens seit sie sich ein Gartengrundstück gekauft hat und beackert, fühlt sich die Wirtin auch vollends akzeptiert im Dorf. „Am Schluss hab ich schon dazugehört.“ Die vielen Stammtische, die ins Bergcafé kamen, hofft sie mit hinüber zu nehmen, wenn sie demnächst das Fliegerheim in Poltringen übernimmt.

Ob dorthin auch noch die Tübinger Studierenden kommen, die lange Jahre für Getränkeumsatz sorgten, ist für Savidu fraglich. Schon zuletzt wurde der Zustrom geringer. „Die Studenten müssen heut halt Porsche fahren und können keinen Most mehr trinken.“

Außerdem, das müsse sie einräumen, ganz so geschickt im Marketing fürs akademische Publikum wie die Haupt-Schwestern sei sie nicht. Zu Zeiten der Schwestern gab es zum Beispiel aus dem eigenen Wald Weihnachtsbäume für die Verbindungshäuser. Die Tradition habe sie in Ermangelung eines Waldes nicht fortführen können, so Savidu.

Am neuen Wirtschaftsstandort auf dem Poltringer Flugplatz werde wohl einiges anders werden. Eine Zukunft sieht sie da für sich – trotz um sich greifender Gastronomie-Schließungen. Die Vorpächter blieben beide weit über zehn Jahre in Poltringen. Ein gutes Zeichen für Savidu. „Wenn es in der Gastronomie dauernd Wechsel gibt, stimmt was nicht.“

Abschiedsfest und Zukunft

Am Donnerstagabend ist so ab 19 Uhr Abschiedsfest im Bergcafé. Gleichzeitig ist es auch die Finissage für die Ausstellung der Schafbilder des Reustener Malers Thomas Nolden unterm Titel „Kawasaki Bar“. Großes Programm soll es nicht geben, so Nolden. „Wir drehen vielleicht zwei bunte Glühbirnen in die Kronleuchter.“

Eingeladen sind alle, die noch einmal die Atmosphäre der weltoffenen Dorfkneipe spüren wollen. Besitzerin Hahn-Haupt hat sich zum Abschied auch noch was ausgedacht.

Das Haus wird zunächst saniert. Die Tochter der Besitzerin kehrt nach einer Auslandsbeschäftigung wieder zurück nach Reusten und will mit ihrer Familie auf den Kirchberg ziehen. „Es ist angedacht, dass das Café in irgendeiner Form öffentlich zugänglich sein wird“, sagt Hahn-Haupt.

Die Form sei noch offen, doch sei das auch Wunsch von Tochter und Schwiegersohn Daniel Schürer. Der belebte mit dem Süddeutschen Kunstverein in Reusten schon ein landwirtschaftliches Anwesen im Ortszentrum – das elterliche Haus von Marie und Sophie Haupt.