Freilichtspiele Schwäbisch Hall

Alte Fragen, neue Technik

Schwäbisch Hall eröffnet die?Saison mit einer beeindruckenden Inszenierung von „Nathan der Weise“.

14.06.2021

Von Monika Everling

Walter Sittler (Nathan) mit Martin Maecker als Klosterbruder. Foto: Ufuk Arslan

Walter Sittler (Nathan) mit Martin Maecker als Klosterbruder. Foto: Ufuk Arslan

Ununterbrochen steigen irgendwo Rauchschwaden auf. Auch wenn in „Nathan der Weise“ keine Raketen fliegen wie zuletzt in Nahost, so ist der Krieg zwischen den Religionen doch immerfort präsent. Da mögen die Protagonisten des Stücks noch so viel Verständnis für einander haben, sich gegenseitig das Leben retten oder gar in Liebe zu einander entbrannt sein. Der Konflikt zwischen Judentum, Christentum und Islam flammt immer wieder auf.

Christian Doll, Intendant der Freilichtspiele Schwäbisch Hall, hat den Klassiker von Gotthold Ephraim Lessing ganz klassisch auf die Treppe vor der Michaelskirche gebracht. Weder modernisiert er den Text, noch lässt er sich dazu hinreißen, aktuelle Bezüge durch mehr oder weniger originelle Einfälle herauszustellen. Er setzt auf die Jahrhunderte überdauernde Kraft der Sprache. Dieser verleihen die sieben Darsteller den ganzen Abend über in vorbildlicher Weise Ausdruck. Durch den Einsatz von Mikrofonen müssen sie nicht allein mit ihrer Stimme den ganzen Platz beschallen, so können sie auch intime Momente erschaffen.

Walter Sittler sorgt für Glanz

Fernsehstar Walter Sittler ist mit Abstand der prominenteste Darsteller, aber im Haller Ensemble ist er einer unter sieben ausgezeichneten Schauspielern. Sittler verkörpert den meist in sich ruhenden, in seinem toleranten Weltbild gefestigten Nathan geradezu idealtypisch. Dass auch Nathans Lebenserfahrung ein bitteres Schicksal einschließt, nämlich den Tod seiner Frau und seiner sieben Söhne, erfährt man fast ein wenig am Rande. Drei Tage habe er damals vor Schmerz im Staub gelegen, berichtet der Jude dem christlichen Klosterbruder. Dann habe er sich in Gottes Willen gefügt, und noch am gleichen Tag sei ihm die erst wenige Wochen alte Recha als Ziehkind übergeben worden.

Diese ahnt nichts davon, dass sie einst christlich getauft wurde – und dass ihr leiblicher Vater ein Muslim war. Recha verkörpert die glückliche Vereinigung der Religionen. Marlene Reiter spielt diese 18-Jährige mal schwärmerisch, mal verliebt, mal ruhig, mal aufgewühlt. Recha war in Todesgefahr, als Nathans Haus gebrannt hat. Ein Tempelherr, also ein christlicher Kreuzritter, hat sie aus den Flammen gerettet. Und nun sind die beiden für einander entflammt.

Hauke Petersen hat als Tempelherr quasi die zweite Hauptrolle im Stück. Er ist auch derjenige, der die meisten Facetten zeigt: Der immer wieder aufbrausende Kämpfer wirkt in seiner Verliebtheit geradezu vertrottelt. Dann stammelt er oder setzt sich neben den Stuhl. Von Saladin lässt er sich wie eine Marionette führen. Die 73-jährige Christine Dorner muss man bei den Freilichtspielen immer wieder bewundern. Die Grande Dame des Haller Ensembles spricht klar und verkörpert glaubhaft die Gewissensnöte von Rechas Gesellschafterin Daja, die als Christin darunter leidet, dass Recha meint, eine Jüdin zu sein.

Den „Preis“ für die beste Nebenrolle in dieser Inszenierung bekommt Tabea Scholz als Saladins Schwester Sittah. Sie ist in ihrer Schläue und Souveränität der weibliche Gegenpart zu Nathan. Gunter Heun steht ihr als Sultan Saladin zur Seite. Die beiden werden manchmal fast eins, wenn sie im Gleichschritt die Trepper herabkommen. Und Martin Maecker schlüpft gleich in drei gar nicht so kleine Rollen: Er gibt den unglücklichen Derwisch Al-Hafi, der nicht Schatzmeister sein will sondern ein muslimischer Bettelmönch am Ganges, zudem den etwas naiven Klosterbruder und den rachsüchtigen Patriarchen.

Bleibt ein Element der Regie zu erwähnen, das – neben den Kostümen – die Brücke zur Gegenwar schlägt: das akustische. Musik, Klänge und Rhythmen gliedern und verbinden, überraschen und lassen Assoziationen aufkommen (Sounddesign: Simon Hüging). Bühne und Kostüme, für die Cornelia Brey verantwortlich zeichnet, geben fast das Gefühl, einen Schwarz-Weiß-Film zu sehen. Die Kleidung aller und die wenigen Requisiten sind in Beige-, Grau- und Schwarztönen gehalten. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die riesigen Augen oben vor der Kirche. Die beiden Gemälde sind so weit weg von den Zuschauern, wie es nur geht, und wirken doch bedrohlich nahe, weil man die Wimpern und die Härchen der Brauen einzeln und überdeutlich sieht.

Die etwa 700 Zuschauer der Premiere spenden lange begeisterten Beifall.

Info Weil die Freilichtspiele wegen gesunkener Inzidenz 750 statt 500 Gäste empfangen dürfen, gibt es auf freilichtspiele-hall.de für alle Vorstellungen noch Karten.

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Erstellt:
14.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 14.06.2021, 06:00 Uhr

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