Winterspiele 2018

Allgemeine Verunsicherung statt olympischer Vorfreude

Trotz Atom-Krise soll der Saisonhöhepunkt in Südkorea sicher sein. Dennoch sind viele Athleten besorgt, weil es keinen Plan B gibt.

16.09.2017

Von MANUELA HARANT

Die Maskottchen Soohorang (links) und Bandabi haben schon in einem Reisfeld in der Nähe von Pyeongchang Platz genommen. Doch die Idylle in der Grenzregion zu Nordkorea kann sich als trügerisch herausstellen. Foto: dpa

Die Maskottchen Soohorang (links) und Bandabi haben schon in einem Reisfeld in der Nähe von Pyeongchang Platz genommen. Doch die Idylle in der Grenzregion zu Nordkorea kann sich als trügerisch herausstellen. Foto: dpa

Ruhpolding. Als Erik Lesser nach seiner Vorfreude auf die Olympischen Winterspiele in Südkorea gefragt wird, blickt der sonst so selbstsichere Biathlon-Weltmeister verunsichert nach unten. „Wenn ich denn hinfahre, bin ich bestimmt voller Vorfreude dort.“ Die so lockere Stimmung beim Medientag des Deutschen Skiverbandes in Ruhpolding wird plötzlich angespannt. Der Grund: Die Wettkämpfe vom 9. bis 25. Februar 2018 sollen nicht irgendwo über die Bühne gehen, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Land, das die Welt aktuell mit Atomwaffentests und martialischen Drohungen in Atem hält. „Ich hoffe, dass man den Nordkorea-Konflikt friedlich lösen kann. Aber die Eskalationsstufen steigern sich von Woche zu Woche. Da scheint es absehbar, dass es irgendwann knallt“, sagt der als kritischer Kopf der Biathlon-Szene bekannte Lesser – und schiebt leise hinterher: „Auch wenn ich hoffe, dass sich die beiden Herren noch besinnen.“

80 Kilometer Luftlinie. Das ist ungefähr die Distanz von Ulm nach Stuttgart, in ein paar Jahren nur noch eine halbe Zugstunde entfernt. Das ist aber auch die Entfernung zwischen dem südkoreanischen Pyeongchang und der Grenze zu Nordkorea. Die atomare Bedrohung durch den Nachbarn im Norden ist nicht neu, doch seit Wochen überbieten sich US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un in rhetorischer Aufrüstung. Kann man mitten in dieser buchstäblich explosiven Gemengelage im Februar sichere Winterspiele veranstalten?

„Man kann“, sagen die einen. Das sind die Veranstalter, angeführt von IOC-Präsident Thomas Bach. „Es gibt keinen Grund für eine unmittelbare Besorgnis“, sagt Bach. IOC-Exekutivmitglied Gian Franco Kasper meint gar: „Ich bin davon überzeugt, der sicherste Ort während der Spiele wird Pyeongchang sein.“

Die anderen, das ist das Lager der Athleten und Verbansfunktionäre. „Die Bedrohung ist sehr ernst zu nehmen“, schätzt der Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Max Hartung. Denn selbst der Chef des Organisationskomitees in Südkorea, Lee Hee Beom, warnte jüngst: „Wir können nicht alle politischen Risiken generell ausschließen.“

Schließlich preschte René Fasel, Präsident des Eishockey-Weltverbandes IIHF als erster Topfunktionär vor und forderte: „Wir sollten einen Plan B entwerfen für den Fall, dass dieser Konflikt eskaliert.“ Doch laut IOC-Präsident Bach gibt es solche Gedankenspiele nicht. Das stößt auch bei den Trainern sauer auf. „So etwas halte ich für sehr oberflächlich und lax dahingesagt“, sagte der Damen-Bundestrainer Gerald Hönig beim Medientag der deutschen Biathleten. Schließlich ist die Korea-Krise Gesprächsthema im deutschen Lager.

„Wenn das IOC sagt, es ist dort sicher, dann muss ich mich danach richten“, meint Biathlon-Weltmeister Simon Schempp. Doch wie seine Teamkollegen kann auch er bei dieser Frage nur bedingt nach seinem eigenen Willen entscheiden. „Wenn die Spiele dort stattfinden, muss ich da hin. Dafür werde ich bezahlt und auch vom Staat gefördert“, bringt es Weltmeister Arnd Peiffer auf den Punkt. „Das heißt, dass ich es mir nicht wirklich raussuchen kann. Es wird kaum ein Athlet sagen: Es ist mir zu unsicher, ich bleibe lieber zu Hause und schaue mir die Spiele im Fernsehen an.“

Erik Lesser ist jedoch jemand, der seine Entscheidung ungern Dritten überlassen will, wenn es um seine Sicherheit geht. „Ich muss am Tag X selbst entscheiden, ob ich dort hinfahren kann oder nicht. Denn wenn Raketen über deinen Kopf fliegen, stellst du dir das letzte Mal die Frage, ob man unbedingt dorthin musste“, sagt Erik Lesser. Und für diesen Tag X müssen sich die Athleten im kommenden Winter aber noch sportlich qualifizieren. Ein weiterer Grund, warum sie sich jetzt noch nicht festlegen wollen.

Schleppender Vorverkauf

Doch selbst die Gastgeber scheinen nicht sonderlich angetan von der Vorstellung, wenige hundert Kilometer von der Lagerstätte einer potenziellen Wasserstoff- oder Atombombe fröhliche Sport-Spiele aufzusuchen. Gerade einmal 4,8 Prozent der Tickets wurden in der ersten Vorverkaufsphase in Südkorea abgesetzt. Noch nie war das Interesse in einem Gastgeberland geringer.

Auch deshalb scheint das letzte Wort in der „P-Frage“ noch nicht gesprochen – ob es das IOC nun will oder nicht. Denn die Dachorganisationen der einzelnen Länder – in Deutschland der DOSB – könnten noch zum Boykott aufzurufen. „Wenn einzelne Nationen sagen, sie gehen dort nicht hin, wird es kritisch. Man kann sie nicht zwingen“, erklärt Bundestrainer Hönig.

Und so findet die fünffache Biathlon-Weltmeisterin Laura Dahlmeier klare Worte in Richtung IOC-Präsident Bach: „Man darf dieses Thema nicht totschweigen“, sagt die 24-Jährige, die eigentlich privat gerne und viel in fremde Länder reist. „Dass die Spiele in Südkorea stattfinden, werde ich erst glauben, wenn ich im Flieger sitze.“ Und bis dahin vergehen noch viele Wochen, in denen viel passieren kann. Oder auch nicht.

Grafik: SWP

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Erstellt:
16.09.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 16.09.2017, 06:00 Uhr

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