Reutlingen/Walddorfhäslach

Bullenbank: Gericht ächzt unter Blitzerverfahren

Mehr als 200.000 Autofahrer wurden geblitzt und viele legen Einspruch ein. Das Amtsgericht Reutlingen hat deswegen Verstärkung bekommen.

07.03.2019

Von Uschi Kurz

Für viele Autofahrer ein Stein des Anstoßes: Die Radarfalle unter der Brücke der B 27 in Höhe von Walddorfhäslach. Bild: Horst Haas

Für viele Autofahrer ein Stein des Anstoßes: Die Radarfalle unter der Brücke der B 27 in Höhe von Walddorfhäslach. Bild: Horst Haas

Wegen einer Baustelle galt im vergangenen Jahr zwischen Mai und September auf der B 27 bei Walddorfhäslach Tempo 60. Rund 200.000 Autofahrer rasten daraufhin an der sogenannten „Bullenbank“ in die Radarfalle, die damit zu einem der einträglichsten Blitzerstandorte der ganzen Republik wurde. Obwohl noch gar nicht alle Bescheide bearbeitet sind, hat das Landratsamt mit den beiden Messgeräten bereits weit über 4 Millionen Euro eingenommen, wesentlich mehr also, wie sonst alle Geräte zusammen im Landkreis im ganzen Jahr.

Nicht jeder Autofahrer, der einen Bußgeldbescheid erhält, will das akzeptieren. Viele fühlen sich ungerecht behandelt oder hoffen – wenn sich das Verfahren in die Länge zieht – auf eine Verjährung. Fast 1500 Bußgeldempfänger legten bereits Einspruch ein. Das Landratsamt prüft die Einsprüche, sind sie zeitlich und formal in Ordnung, gehen sie an das für die Bullenbank zuständige Amtsgericht Reutlingen, das mittlerweile unter der Last der Verfahren ächzt. Zumal noch nicht einmal alle Bußgeldbescheide verschickt sind. Maximal sechs Monate hat das Landratsamt dafür nach dem Verstoß Zeit. „Wir dürften in den letzten Zügen liegen“, sagt Ordnungsamtsleiter Sebastian Ritter. Ein Einspruch, gibt er zu bedenken, sei unter Umständen mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden – beispielsweise, wenn das Gericht einen Sachverständigen bestellt.

Eine Schneeflocke genügt

Natürlich, meint Ritter, komme es vor, dass ein Bußgeldbescheid der richterlichen Überprüfung nicht Stand halte. Beispielsweise, wenn das Foto zu schlecht sei. Da reiche eine Schneeflocke auf der Linse. Einsprüche wegen mangelhafter Technik oder wegen der Beschilderung hätten hingegen keine Chancen. Das Radargerät werde regelmäßig überprüft, die Positionen der Schilder, die auf die Geschwindigkeitsbeschränkung hinwiesen, habe man sorgfältig gewählt. Auch habe es sich bei dem Tempolimit keinesfalls um Schikane gehandelt: Gerade an den Aus- und Einfahrten hätte es im Jahr zuvor mehrere schwere Unfälle gegeben.

Verjährung erst nach zwei Jahren

Amtsgerichtsdirektor Friederich Haberstroh ist nicht begeistert, dass es in manchen Presseberichten so dargestellt wurde, als wäre das Amtsgericht mit den Einsprüchen überfordert. Denn das habe dazu geführt, dass immer mehr Schreiben beim Amtsgericht eintrudeln. Nach dem Motto: „Ich werde nicht bezahlen, weil es ja sowieso verjährt.“ Die Verfahren verjähren aber erst nach insgesamt zwei Jahren – und bis dahin sei es noch eine ganze Weile. „Für uns ist das eine große Belastung und eine Herausforderung“, räumt Haberstroh ein, aber: „Das Problem wird an höherer Stelle gesehen.“ Deshalb hat er zum 1. März eine halbe Richterstelle mehr bekommen. Im Mai kommt ein weiterer Richter, auch zusätzliche Servicekräfte für die Schreibarbeiten wurden angestellt: „Alles wegen der Bullenbank.“

B wie Bullenbank

Um die Einsprüche bewältigen zu können, wurden die Arbeitsabläufe umstrukturiert. Bisher wurden die Fälle nach Buchstaben auf die jeweiligen „Owi“-Richter verteilt. Jetzt muss jeder Richter Ordnungswidrigkeiten übernehmen. Auch die Kennzeichnung der „Blitzer“-Verfahren wurde verändert. Den Aktenzeichen, die normalerweise referatsweise zugeordnet sind, wurde zusätzlich ein „B“ wie Bullenbank vorangestellt. So ist an jeder Tagesordnung gleich erkennbar, wann wieder ein Bullenbank-Sünder die Anklagebank drückt, weil er den Bußgeldbescheid nicht akzeptieren will.

Haberstroh geht jedenfalls momentan davon aus, dass er und sein Team den Berg an „Owis“ abgearbeitet bekommen, bevor sie verjährt sind. Zumal viele Einsprüche kurz vor dem Gerichtstermin zurückgezogen werden. An einem Tag habe er 13 Verfahren terminiert, sagt der Amtsgerichtsdirektor, übrig geblieben seien davon nur fünf.

Einträglicher Blitzer: Landkreis nimmt 4,66 Millionen ein

Seit Inbetriebnahmeder Geschwindigkeitsmessanlagen im Mai 2018 wurden vom Landratsamt Verwarnungs- und Bußgelder in Höhe von insgesamt 4,66 Millionen Euro eingenommen. Bisher haben 1489 Autofahrer, die innerhalb des Baustellen-Zeitraums geblitzt wurden, Einspruch gegen ihren Bußgeldbescheid erhoben; 1285 von ihnen bereits 2018, 204 im laufenden Jahr. Da noch gar nicht alle Bußgeldbescheide verschickt wurden, könnten noch weitere dazu kommen. Seit die Baustelle beendet ist, darf an der Bullenbank wieder 120 gefahren werden. Geblitzt wird trotzdem, aber die Verstöße sind wesentlich seltener. Und damit auch die Zahl der Autofahrer, die Einspruch erheben: Von November 2018 bis jetzt gab es 52 Einsprüche.

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Erstellt:
07.03.2019, 11:40 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 07.03.2019, 11:40 Uhr

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