Bundesregierung

SWP-Leitartikel: Alles ist drin

Der Zerfall großer Volksparteien ist beileibe kein neues Phänomen. Italien, Frankreich und andere Länder haben gezeigt, wie sich diese Sammelbecken unterschiedlichster Interessen zerlegen und in die Bedeutungslosigkeit verabschieden.

19.04.2021

Von GUIDO BOHSEM

Berlin. Die SPD hat es in Deutschland als erste erwischt. Mit dem Abgang von Angela Merkel droht der Union dasselbe Schicksal – und die Nachlassverwalter Armin Laschet und Markus Söder sind offenbar gewillt, den Niedergang durch ihr öffentlich aufgeführtes Hickhack zu beschleunigen.

Es ist SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der schon seit Monaten genau darauf hinweist, wie der Abgang der ewigen Kanzlerin die politische Landschaft durchschütteln wird. Die SPD profitiert zwar derzeit nicht von den Kabalen der Union, doch das könnte sich mit ein wenig Glück und einem klugen Wahlkampf ändern. Die Grünen, die an diesem Montag in bester Eintracht ihre Führungsfigur präsentieren werden, erscheinen als logischer Profiteur der Stunde. Eintracht und das richtige Thema funktionieren in Wahlkämpfen immer sehr gut. Ob es für das Kanzleramt reicht? Wer weiß. Das hängt auch vom Wetter ab. Falls es wieder einen langen, sehr heißen Sommer gibt, haben sie eine realistische Chance.

Für die FDP zahlt sich der Kurs aus, nicht alle von der Corona-Politik der Regierung abweichende Positionen der AfD zu überlassen, sondern sich klar und präzise abzugrenzen, ohne inhaltlich zu wackeln. Die AfD kümmert sich derweil zunehmend erfolgreich um den Rest der Corona-Skeptiker und um die notorisch Unzufriedenen. Für die Linken könnte es knapp werden, muss aber nicht, wenn soziale Schieflagen nach der Pandemie stärker ins Blickfeld rücken.

Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, Grüne Ampel, Kenia, Ampel, Rot-Rot-Grün – so ziemlich alle Kombinationen (die es in den Bundesländern übrigens schon fast alle gibt) scheinen möglich. Wie stark sich diese Dynamik entfalten kann, hängt maßgeblich vom Abschneiden der Union ab. Jeder Prozentpunkt weniger für CDU und CSU macht die anderen Kombinationen wahrscheinlicher. Doch das scheint die Christlichen derzeit nicht zu sorgen. Sie führen ungerührt die dritte Fortsetzung des Dramas auf, was denn nun wie nach Merkel kommen soll. Eine Fortsetzung des Kurses mit anderem Gesicht oder der starke Mann mit den klaren Worten und dem autoritärem Zug. Dass der Übergang nach der Ära Merkel so schwer werden würde, stand außer Zweifel. Niemand hätte aber damit gerechnet, dass er Jahre dauern würde.

Selten zuvor war die politische Landschaft so im Umbruch wie heute, selten zuvor die politische Stabilität so gefährdet. Das kann man beklagen und auch begrüßen. Sicher, die Politik wird unberechenbarer und wechselhafter. Sie kann sich aber auch schneller von alten Gewissheiten verabschieden, die in den neuen Zeiten nicht mehr gelten. Gerade weil das so ist, kommt es letztlich immer mehr darauf an, wer an der Spitze der Regierung steht. Eine Lichtgestalt ist nicht ausgeschlossen, möglich ist aber auch ein Typ wie Donald Trump.

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