Sabine Lohr über die Befragung zum Sicherheitsgefühl

Alles eine Sache der Interpretation

Die Tübinger fühlen sich noch relativ sicher in der Stadt, aber einige von ihnen unsicherer als in den letzten Jahren. Und sie glauben, andere Menschen fühlen sich noch unsicherer als sie selbst. Das ist, sehr grob zusammengefasst, das Ergebnis der Befragung zum Sicherheitsgefühl.

20.03.2018

Von Sabine Lohr

Was fängt man jetzt damit an? Die Kriminologin Prof. Rita Haverkamp jedenfalls nicht allzu viel. Ihr ist die Befragung nicht wissenschaftlich genug, zu unspezifisch, und sie gibt zu wenig brauchbares Material her.

Für Oberbürgermeister Boris Palmer dagegen ist die Befragung ein voller Erfolg. Allein der enorm hohe Rücklauf von fast 60 Prozent zeige, dass es richtig gewesen sei, wenige und einfache Fragen zu stellen, dass das Thema die Menschen umtreibe und interessiere. Er wolle, sagte er gegenüber dem TAGBLATT, auch keine Wissenschaft betreiben, sondern Antworten auf einfache Fragen haben, und die habe er bekommen. Welche politischen Schlüsse er aus dem Ergebnis zieht, will er allerdings nicht sagen – im Moment jedenfalls nicht. Er hat sie aber sicherlich schon für sich gezogen.

Welche auch immer es sein werden – ihnen liegt irgendeine Interpretation des Ergebnisses zugrunde. Genau davor warnte Haverkamp. Für die Wissenschaftlerin ist allein schon der Begriff „Sicherheitsgefühl“ auslegbar. Was genau ist damit gemeint? Vor was haben die Menschen Angst? Vor Altersarmut, Krieg, Handtaschendiebstahl, Gewalt oder einfach nur vor dem Ausrutschen auf nassen Pflastersteinen?

Haverkamp kritisiert auch, dass nicht explizit nach Angst vor Kriminalität gefragt wurde – dabei dürften die meisten der Befragten genau das im Kopf gehabt haben. Denn im Anschreiben von Palmer, das der Befragung beilag, ist eindeutig ausschließlich davon die Rede. Dennoch hat Haverkamp recht, wenn sie vor Interpretationen warnt. Denn: Was sagt es aus, wenn sich die 50- bis 65-jährigen Frauen in der Dunkelheit unsicherer fühlen als jüngere? Und warum fühlen sich 83 Prozent der Befragten unsicherer als in den letzten Jahren?

Es ist gut, wenn sich ein Oberbürgermeister für das Sicherheitsgefühl der Bürger in seiner Stadt interessiert. Und es ist legitim, wenn er danach fragt. Aber dann soll er es doch bitte so tun, dass sich mit den Ergebnissen auch etwas anfangen lässt, ohne dass sie in die eine oder andere Richtung interpretiert werden können. Wo in der Stadt fühlen sich die Leute denn unsicher? Und warum? Was hat ihr Sicherheitsgefühl verschlechtert? Wo wollen sie mehr Beleuchtung und Videoüberwachung? Antworten auf diese Fragen gibt es nicht und dürfen nun vermutet werden – gesteuert von politischen Interessen. Das ist schade. Aber das lässt sich ändern: Mit einer Befragung, die solche Antworten gibt.

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Erstellt:
20.03.2018, 21:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 12sec
zuletzt aktualisiert: 20.03.2018, 21:00 Uhr

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