Italien

Allein gegen die Clans

Ein sizilianischer Richter wird seliggesprochen: Rosario Livatino wurde 1990 von der Mafia ermordet. Es war der Auftakt zu einer Epoche der Attentate.

08.05.2021

Von Bettina Gabbe

Richter Rosario Livatino. Foto: Picture Alliance/ROPI/Caramanna/Giacomino

Richter Rosario Livatino. Foto: Picture Alliance/ROPI/Caramanna/Giacomino

Als Rosario Livatino am 21. September 1990 am frühen Morgen auf einer Böschung außerhalb von Agrigent erschossen wird, ist er noch weitgehend unbekannt. Der junge Richter hatte Polizeischutz abgelehnt, obwohl er mit Rache-Akten der Mafia rechnen musste. Denn der 37-Jährige half, Korruptionsskandale aufzudecken und ordnete Enteignungen von Mafia-Eigentum an.

Als er auf der staubigen Landstraße auf dem Weg von Canicatti nach Agrigent von einem anderen Fahrzeug an die Leitplanke gedrängt und von den Insassen angegriffen wird, flüchtet er zu Fuß den Abhang hinunter. Den roten Ford Fiesta mit dem von Kugeln durchlöcherten Fenster der Heckklappe lässt er an der Straße stehen. Doch die Verfolger holen ihn wenige Sekunden später ein und richten ihn mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe regelrecht hin.

Als Märtyrer verehrt

Am Sonntag wird der Sizilianer, der in Italien längst als Märtyrer verehrt wird, im Dom von Agrigent seliggesprochen. Livatino sei wegen der konsequenten Übereinstimmung zwischen seinem Glauben und seinem Arbeitseinsatz ein Vorbild für alle Juristen, erklärte Papst Franziskus vor einem Jahr bei einem Treffen mit Vertretern eines nach dem Richter benannten Studienzentrums. Den Mord an dem Richter erkannte er deshalb als Martyrium an.

Piero Nava, der Zeuge, der zur Verurteilung der Täter beitrug, muss sich seither verstecken. Einer der sieben verschiedenen Orte, an denen das italienische Zeugenschutzprogramm ihn und seine Familie unterbrachte, sei in Deutschland gewesen, sagte Nava jüngst. Auch zur Gegenüberstellung mit einem Täter wurde er einen Monat nach der Tat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion per Auto, Hubschrauber und Flugzeug nach Deutschland gebracht.

Dabei zweifelte der später ebenfalls von der Mafia ermordete Richter Giovanni Falcone anfangs an Navas Aussage. Erst als die in Brand gesteckten Wracks des Motorrads und des Fluchtautos, die er beschrieben hatte, gefunden worden waren, wurde er ernstgenommen. Der Mann, dessen Telefon Nava nach der Tat benutzte, um die Polizei zu rufen, versuchte noch, ihn davon abzubringen. „Wir sind doch in Sizilien“, habe der Mann damals im Wissen um die Folgen einer solchen Aussage gewarnt.

Der Mord an dem Richter steht am Beginn eines in Italien als die Epoche der Attentate bekannten Jahrzehnts. In den 90er Jahren richtet die Mafia nicht nur Livatinos Kollegen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, sondern auch zahlreiche andere Menschen, die sie als Gefahr empfindet, im Rahmen von spektakulären Anschlägen hin.

Knapp drei Jahre nach dem Mord rief Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Agrigent den Tätern zu: „Bekehrt euch, eines Tages wird Gottes Urteil kommen.“ Sein Nachfolger Franziskus erklärte Mafia-Verbrecher gar für exkommuniziert. Bei einer Messe in Palermo für den von den Clans ermordeten Priester Pino Puglisi erklärte er, man könne nicht „an Gott glauben und Mafioso sein“.

Für Livatino bedeutete Gerechtigkeit schaffen „Selbstverwirklichung, Gebet und Hingabe an Gott“. Die in seinen Unterlagen immer wieder notierte Buchstabenfolge S.T.D. hielten die Ermittler anfangs für einen Geheim-Code. Doch mit der Abkürzung für „Sub tutela dei“ stellte er sich schlicht unter den Schutz Gottes.

Motiv auch Hass auf Religion

Im Unterschied zu den über Italien hinaus als Mafia-Jäger bekannten Richtern Falcone und Borsellino war Livatino ledig. Ein Clan-Chef, der im selben Haus wohnte, in dem der Richter gemeinsam mit seinen Eltern lebte, nannte ihn verächtlich „Frömmler“. Auch deshalb kam das Seligsprechungsverfahren im Vatikan zu dem Schluss, der Richter sei aus Hass auf seine Religion erschossen worden. Denn Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Martyriums ist Hass auf die katholische Kirche als Motiv der Täter.

Zum Artikel

Erstellt:
08.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 08.05.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!