Alle setzen auf Verdichtung
Das TAGBLATT-Podium zur Gemeinderatswahl
Die Kandidatinnen und Kandidaten von acht Tübinger Kommunalwahllisten zeigten nicht nur in der Wachstumsfrage viel Einigkeit und wenig Kontroverse bei der Debatte im Sparkassen Carré.
Auf eine Einladung der AfD-Liste mit nur vier Kandidaten habe man verzichtet, so erklärte Stegert anfangs, weil sie kommunalpolitisch „nicht in Erscheinung getreten“ sei. Die anderen acht Listen unterschieden sich oftmals nur in feinen Nuancen. So förderte auch die Frage nach dem Grad des künftigen Wachstums keine schroffen Gegensätzen zutage. AL/Grünen-Spitzenkandidatin Asli Kücük setzt auf eine „kompetente Wachstumsbremse“. Und SPD-Mann Martin Sökler bekannte, dass die Ökologie kein grünes Spezialthema mehr ist, seine Partei habe „in den letzten Jahren dazugelernt“. Die Sozialdemokraten plädieren nun zwar nicht für „Nullwachstum“, aber für eine „Verdichtung auch beim Gewerbe“. FDP-Allstar Dietmar Schöning war ebenfalls für eine „endogene Entwicklung“, also Innenverdichtung. Ein „wissenschaftsbasiertes Wachstum“ mache ihm aber „wenig Sorgen“ – so meinte er in Hinblick auf den Flächenfraß. Ernst Gumrich, Stadtrat der Tübinger Liste, plädierte ebenfalls für moderates Wachstum: „Wir steuern zwar auf eine Großstadt zu, aber nicht mit aller Kraft.“ Auch Rudi Hurlebaus, CDU-Fraktionsvorsitzender, sprach sich nicht für ein Wachstum um jeden Preis aus, sondern koppelte es an die Sorge, dass sonst lokale Betriebe abwandern würden.
In der Einzelbefragung kamen schließlich auch kontroverse Ideen und Meinungen ins Spiel. Wann soll der Saiben, das Gelände zwischen Derendingen und dem Bahnbetriebswerk, bebaut werden? Kücük schloss sich Oberbürgermeister Boris Palmers Absichtserklärung an: Für die nächsten zehn Jahre werde der Ausbau der Innenstadtflächen reichen, 5400 Wohnungen könne man auch ohne die grüne Wiese Saiben bauen. Mehr wäre von der Infrastruktur her nicht zu stemmen.
Den routinierten Stadtrat Schöning spannten die Moderatoren mit Newcomer David Hildner (Die Partei) unter dem Oberthema Verkehr zusammen. Schöning sprach sich vehement für eine Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn aus, über die 2020 per Bürgerentscheid abgestimmt werden soll. Nach zwanzigjährigen Vorarbeiten hofft er sehr, dass die Mehrheit die Bahn zum Klinikum will. Neckarbrücken-Umbau, Radlerprobleme und Quietschen konnten für ihn nicht ihre Pluspunkte, eine Verkehrs- und Umweltentlastung, entwerten. „Wenn jemand ein besseres Mobilitätskonzept hat, dann sehr gerne!“ „Können Sie bekommen“, entgegnete Kontrahent Hildner. Der Informatikstudent hängte sich an die Seilbahn-Initiative seines Parteigenossen Markus Vogt an. Von wegen Spaßidee –andere Städte, wie Leonberg, hätten schon Machbarkeitsstudien zum Luftverkehr beauftragt. Mit einer Stadtbahn hingegen werde die Mühlstraße zur „Todesfalle für Radfahrer“. Schöning widersetzte sich diesem Begriff: „Die Stadtbahn fährt acht Mal in der Stunde und ersetzt so 24 Busse.“ SPD und Grüne waren sich mit FDP in der Mobilitätsfrage komplett einig: „Zwischen uns passt kein Blatt Papier“, sagte Sökler zu Kücük.
Ist die Stadt ein unsicheres Pflaster? Die Spitzenkandidatin der DiB-Liste, Sara da Piedade Gomes, fand „nein“. Sie korrigierte: „Als Frau fühlt man sich zu Hause nicht sicher.“ Hurlebaus wollte sich auch auf Lohrs Nachfrage nicht auf eine Erhöhung des schon verstärkten nächtlichen Ordnungsdienstes festlegen. Ein Nachtbürgermeister, ein genehmigter Antrag seiner Partei, leuchtete ihm jedoch ein. Zu diesem Thema zog Hildner seinen Joker und brachte den Saal zum Lachen: „Ich unterstütze die Idee eines Nachtbürgermeisters, weil, wenn man nachts unterwegs ist, muss man dann keine Angst vorm Tagbürgermeister haben.“
Und wo blieb die Kultur? Immerhin in einer Abstimmung kam sie vor. Sabine Lohr schlug mehrere Orte für einen Konzertsaal vor: Europaplatz, Brunnenstraße/Schindelstube, Wilhelmstraße und Uhlandbad standen zur Wahl. Die Schindelstube bekam mit Schöning, Gumrich und Hurlebaus die meisten Stimmen.
TAGBLATT-Podium am Rande
Ein letztes Meinungsbild wollte sich Marlene Mendrzyk am Mittwochabend von den Parteien und Listen verschaffen, bevor sie ihre Briefwahlunterlagen fertig ausfüllte. Zum ersten Mal darf die 16-Jährige am Sonntag wählen. Besonders interessant fand die Pennälerin die Positionen zur Regionalstadtbahn. Die Argumente zur Innenstadtstrecke durch die Mühlstraße „haben mich nicht überzeugt“, sagte sie. Stattdessen solle man die Ortsteile verkehrstechnisch besser anbinden. Sie bedauerte, dass das Thema Digitalisierung am Mittwoch nicht intensiver besprochen wurde. Nach zwei Stunden Input verließ sie aber angesichts des frühen Schulbeginns am kommenden Tag mit ihrer Mutter die Veranstaltung. „Lieber diskutiere ich das jetzt noch mal ein bisschen mit meiner Mutter“, sagte sie.hoy