Tübingen · 90. Geburtstag

Alfred Gierer: Physik, Leben und Bewusstsein

Alfred Gierer wird heute 90 Jahre alt. Der Molekularbiologe war einer der ersten Tübinger Max Planck-Direktoren.

15.04.2019

Von Ulrich Janßen

Alfred Gierer / Privatbild

Alfred Gierer / Privatbild

Alfred Gierer zählt zu den wenigen noch lebenden Wissenschaftlern, die im Jahr 1954 die Gründungsphase des Max Planck-Instituts für Virusforschung in Tübingen miterlebten. Entwickelt hatte sich das Institut aus dem 1943 von Berlin nach Tübingen verlegten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie. Auch Gierer ist von Geburt Berliner, verbrachte aber einen Teil der Kindheit in Shanghai, wo sein Vater als Ingenieur im Kraftwerkbau arbeitete. Nach dem Schnellabitur begann er mit 17 Jahren in Göttingen Physik zu studieren.

Der Physiker Werner Heisenberg, der ihn in die Quantenphysik einweihte, war sein Vorbild. Dennoch wuchs auch sein Interesse an der Biologie und am Zusammenspiel der Moleküle. Er promovierte in Göttingen in Physik, und habilitierte sich in Tübingen für Biophysik, zuvor hatte er in den USA am berühmten MIT geforscht. 1959 hielt er eine der ersten Vorlesungen in Deutschland über die neue Molekularbiologie.

Das Tübinger Max Planck Institut für Virusforschung war eine der wenigen Institutionen im Nachkriegsdeutschland, die sich für molekularbiologische Fragestellungen interessierten. Die damaligen Virusforscher etablierten Viren als Modellsysteme für die brandneue Molekularbiologie.

Es war eine spannende Zeit für die Forschung. Watson und Crick war es gerade erst gelungen, die Doppelhelix-Struktur der DNA zu entschlüsseln und völlig neue Wege zum Verständnis der Vererbung zu öffnen. Zusammen mit Gerhard Schramm entdeckte Gierer, dass die reine Virus-Nukleinsäure die Erbsubstanz der Viren ist. 1960 wurde der Berliner wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Virusforschung mit einer neuen selbstständigen Abteilung für Molekularbiologie. Bald erweiterte er das Forschungsfeld in Richtung Entwicklungsbiologie – dem späteren Namen des Instituts. Dabei beschäftigte er sich mit dem ergiebigen Modellsystem des Polypen Hydra und entwickelte mit Hans Meinhardt die Theorie biologischer Strukturbildung.

Gierer fand aber auch zunehmend Interesse an naturphilosophischen Fragen. Wie steht die Biologie zur Physik? In welcher Beziehung stehen Physik, Leben und Seele? Eines seiner Kernthemen ist die Begrenzung wissenschaftlicher Theorien des menschlichen Bewusstseins. Als seinerzeit Walter Jens und Hans Küng das Studium Generale wiederbelebten, war Gierer daran beteiligt. Er hielt eine wissenschaftsphilosophisch orientierte Vorlesung über „Physik, Leben und Bewusstsein“, die Anklang fand und den Stoff für sein erstes Buch lieferte.

Im Jahr 1997 wurde er emeritiert und war danach weiterhin am Institut theoretisch tätig. Vor einigen Wochen erschien sein letztes Buch über „Wissenschaftliches Denken, das Rätsel Bewusstsein und pro-religiöse Ideen“.„Emeritus ist zwar kein Idealzustand für einen Wissenschaftler“, sagt er, „aber wenn schon, dann in Tübingen bei wunderbaren Freunden und Kollegen.“ Doch nicht nur Freunde und Kollegen tragen zum Wohlgefühl bei. Auch mit Ehefrau Lucia war er 55 Jahre – bis zu ihrem Tod 2018 - glücklich verheiratet.

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Erstellt:
15.04.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 15.04.2019, 01:00 Uhr

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