Tübingen

Aktuelle Gegenwart?

Die evangelische Theologin und Tübinger Ehrensenatorin Margot Käßmann beschrieb Hans Küng in ihrem Festvortrag zu dessen 90. Geburtstag als Vorreiter des Miteinanders („Ein Plädoyer für die Toleranz“, 23. April).

28.04.2018

Von Kuno Kirschfeld, Tübingen

Die Ehrensenatorin Margot Käßmann wirbt in ihrem Festvortrag zu Ehren von Hans Küng für Toleranz und beschrieb die grausame Geschichte der Intoleranz. Übersieht sie, dass Intoleranz nicht Geschichte ist, sondern die der Christen aktuelle Gegenwart?

Nehmen wir als Beispiel Sterbehilfe. Der Jubilar schreibt in seinen Memoiren, er erwäge notfalls mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. Denn bei uns darf kein Arzt helfen, das Leben zu beenden. Die parlamentarische Mehrheit der Christen hat dies durch Gesetz auch für Nichtgläubige festgelegt. Der Gesundheitsminister Jens Spahn: „Auch im Sterben gibt es eine Verantwortung … vor Gott. Daher kann es kein faktisches Recht auf Beihilfe zum Sterben geben.“

Die Schweiz ist eine Lösung für Besserverdienende. Die anderen können sich zum Beispiel vor einen Zug stürzen. Bei uns tun sie‘s im Durchschnitt mehr als zweimal täglich. Die Traumatisierung der Lokführer bis hin zur Arbeitsunfähigkeit nehmen wir in Kauf. In Tübingen stürzen sich Menschen immer wieder von einem Hochhaus. Die Entsorgung der Überreste ist für den Hausmeister Routine. Dafür, dass uns diese Ereignisse nicht verstören, sorgt der Pressekodex: Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. So wird zwar über jeden leichteren Fahrradunfall berichtet, nicht aber über Hochhaus-Suizide. Fazit: Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung am Lebensende (EU-Menschenrechtskonvention) bleibt uns wegen Intoleranz verwehrt.