Gesellschaft

Aktentasche, Selfie, Kinderwagen: Vom neuen Stil in der Politik

Andere Menschen an der Macht bringen auch andere Bilder mit sich. Wie inszenieren sich die neuen Entscheidungsträger?

26.11.2021

Von Caroline Bock

Seine abgewetzte Aktentasche hütet Olaf Scholz schon lange.

Seine abgewetzte Aktentasche hütet Olaf Scholz schon lange.

Berlin. Vom Selfie bei Instagram bis zur abgewetzten Aktentasche von Olaf Scholz: Nach der Bundestagswahl ändert sich einiges – im Auftreten, in der Mode und im Stil. Das war in den vergangenen Wochen schon zu sehen. „Die Gesichter der Gewinnerparteien inszenieren einen Wechsel, einen Neubeginn, für den sie mit ihrer Person und ihrem Stil einstehen“, sagt die Historikerin Claudia Gatzka über die sich bildende Ampelkoalition im Bund.

Deshalb – unter dem Aspekt der Gleichberechtigung von Frauen und Männern – erst einmal zum Äußeren von Olaf Scholz: Schließlich musste auch Angela Merkel mit Kabarettwitzen und ungebetenen Modetipps leben, bevor sie über die Jahre ihren eigenen Stil fand – mit Blazern, Haaren und der heute ikonischen Rautengeste der Hände.

Ihr Nachfolger trägt das Haupt kahlrasiert, ohne Mogel-Scheitel über der Glatze. Der 63-Jährige hatte früher wuschelige Locken, was man sieht, wenn man „Olaf Scholz mit Haaren“ googelt. Seine abgewetzte Aktentasche hütet er seit Jahrzehnten. Als der Finanzminister mit der Tasche und mit einem über der Hose hängenden T-Shirt einst aus einem Flugzeug in Washington stieg, meinten manche: Scholz sieht aus wie das wandelnde Mathelehrer-Klischee. Ansonsten gibt es über die schnieken Anzüge und das Ruderoutfit, in dem der drahtige Scholz schon fotografiert wurde, nicht viel zu meckern.

Auch die Garderobe der Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht sorgsam kuratiert aus, weit weg vom überholten Wollsocken-Image ihrer Partei aus den 1980ern. Ihr Kollege Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner fielen mit Dreitagebärten auf. Bei Habeck wünschte sich er Designer Wolfgang Joop im „Spiegel“ eine Krawatte: „Es gibt Berufe, da erwarte ich eine gewisse Perfektion“, so Joop. Noch ein Hingucker: SPD-Jungstar Kevin Kühnert, der bei seiner ersten Rede im Bundestag den Kapuzenpulli gegen ein Sakko tauschte.

Einblicke ins private Leben sind kein neues Phänomen: Früher sah man Willy Brandt beim Rasieren oder Konrad Adenauer mit seinen Rosen. Schon im Kaiserreich gab es solche Fotos – etwa von Reichskanzler Bernhard von Bülow mit Hund. Heutzutage hat die klassische Homestory in der Presse als Format ausgedient, sagt die Freiburger Wissenschaftlerin Gatzka. Abgelöst wurde sie von Facebook und vor allem von Instagram. „Der wichtige Unterschied ist, dass die Storys dort nun stärker in der Hand der Politik und ihrer Berater liegen, nicht mehr in der Hand der Journalisten und Pressefotografen.“ Aber die Inhalte, die vermittelt werden, sind laut Gatzka natürlich ähnlich, und Politikerinnen und Politiker lassen die Öffentlichkeit in den sozialen Medien heute viel näher an sich heran als früher in den Homestorys.

Merkel verzichtete zu Beginn auf Inszenierungen, sie galt als blass und gewann erst über die Jahre an Markenzeichen. Ihre Vorgänger Schröder und Vizekanzler Joschka Fischer waren ein Kontrast, sie inszenierten 1998 vor allem sich selbst und ihren Triumph, ließen sich dabei fotografieren, wie sie sich feierten – als „Männer in Machtpositionen“, wie Gatzka beobachtet.

Bei Scholz, Baerbock und Co. sei das völlig anders, bescheidener und demütiger, zumindest auf den ersten Blick. „Wirksam und machtvoll sind die Bilder von ihnen natürlich nicht minder. Aber sie drücken Dienstbeflissenheit aus, Fleiß, Dynamik, den Willen, es anpacken zu wollen.“

Das Foto der Ampelpolitiker auf dem Weg zu den Sondierungsgesprächen bringe das gut zum Ausdruck. „Sie sehen aus wie die Mitglieder einer Indie-Band, die gerade aus dem Flieger gestiegen sind und auf dem Weg sind zum Gig – zu ihren Fans.“

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Erstellt:
26.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2021, 06:00 Uhr

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