Ernte ohne Mähdrescher

Ältere Nehrener erzählten, wie früher Korn in den Speicher und Brot auf den Tisch kam

Der Verein „Nehren aktiv“ hat sich auch der Heimatpflege verschrieben. Jetzt lud er zur Stammtischrunde zum Thema „Landwirtschaft früher“.

24.06.2016

Von Jürgen Jonas

Der Nehrener Gemeinderat vor 30 Jahren, auch wenn damals längst mit modernerem Gerät geerntet wurde: Er bereitet die Garben für das 900-Jahr-Jubiläum der Gemeinde vor. Zu sehen sind (von links) Erich Rösch, Otto Sauer, Günther Eissler, Landwirt Konrad Dürr (mit hellem Hut im Gesicht), Klaus Wilhelm (mit hellem Hut daneben), der damalige Bürgermeister Wolfgang Ettwein (mit Schnurrbart), Werner Nill (Malermeister) und ganz rechts Walter Klett (Schoko-Klett). Privatbild

Der Nehrener Gemeinderat vor 30 Jahren, auch wenn damals längst mit modernerem Gerät geerntet wurde: Er bereitet die Garben für das 900-Jahr-Jubiläum der Gemeinde vor. Zu sehen sind (von links) Erich Rösch, Otto Sauer, Günther Eissler, Landwirt Konrad Dürr (mit hellem Hut im Gesicht), Klaus Wilhelm (mit hellem Hut daneben), der damalige Bürgermeister Wolfgang Ettwein (mit Schnurrbart), Werner Nill (Malermeister) und ganz rechts Walter Klett (Schoko-Klett). Privatbild

Nehren. „Vom Korn zum Brot“ heißt das Projekt des Vereins „Nehren aktiv“. Es ist ein Rückblick in die Landwirtschaft von früher: Die Mitglieder wollen zeigen, wie sich Ackerbau vollzog, haben dazu Anfang Oktober auf Feldern bei der Musikantenscheune sogar ein eigenes Äckerle angelegt. Konrad Dürr, ehemals Landwirt auf dem Brühlhof, hatte mit der Fräse mehrfach das Gras untergearbeitet. Und zwar gründlich. Mit einer Streuwanne schritt Dürr über die Fläche, streute die Körner aus. Worauf Matthäus Pfeiffer mit seinen Pferden Felix und Filou unterwegs war, die eine Egge zogen. Wie früher.

Vier Zeitzeugen früherer Landwirtschaft waren kürzlich in der Mensa der Kirschenfeldschule versammelt: Neben Konrad Dürr noch Günter Fauser, Helmut Schneider und Helmut Nill, allesamt über 70. Antworten auf die Frage: Opa, wie war das eigentlich früher? hätte es reichlich gegeben, aber die Beteiligung war spärlich, als Breining, Zweiter Vorsitzender des Vereins, die Gäste begrüßte.

Konrad Dürr hatte historische Gerätschaften mitgebracht, zum Beispiel einen „Flügel“, eine Sense mit einem Anbau, der bei jeder Schnittbewegung die Getreidehalme sammelte und schwadförmig beiseite raffte – der Vorgänger von Mähdrescher und Balkenmäher. Auf einem Bild von 1930, aufgenommen im häuserlosen Ilgengärtle, sind Dürrs Vater und andere zu sehen, wie sie mit diesem Instrument ihrer Arbeit nachgehen. Auch einen „Kompf“ zeigte er vor, in dem der Wetzstein untergebracht wurde.

Fausers Eltern hatten keine Landwirtschaft, aber er hat als Junge immer beim Opa mitgeholfen. Nach dem Krieg, so erinnert er sich, fanden die Männer anderweitig Arbeit. Die Landwirtschaft wurde zur Nebensache. Für die Nebenerwebler war im Flecken die Redensart „SS-Bauern“ gebräuchlich. Übersetzt Samstags- und Sonntags-Bauern.

Dennoch gab es in den 50er Jahren im Dorf noch ungefähr 150 Milchlieferanten. Sie gaben die Milch in der Molke hinter dem Rathaus ab. Die Sammelstelle war auch Treffpunkt der Dorfjugend, wo man mit der Milchkanne hindackelte, Streiche ausheckte und auch schon mal, weil Milch verschüttet wurde, Wasser nachfüllte.

Helmut Nill wuchs mit neun Geschwistern auf. Da waren viele Kartoffeln rauszutun, bis die Mäuler gestopft waren. Auf dem Feld waren immer auch Kinder dabei. Bei der schweren Arbeit war das Vespern wichtig. Was gab es? „Ha, Moscht und Brot!“ Wie ein Bild zeigt, war oft der Sutterkrug aus Steingut auf dem Feld dabei, der das Getränk schön kühl hielt. Gegessen wurden auch Produkte aus der Hausschlachtung. Zuerst hat man die Leberwurst verzehrt, danach die Schwarzwurst, dann kamen Schmalz und Rauchfleisch, eingeteilt nach Haltbarkeit. Nills Enkel, die Zwillinge Jonas und Jule (9), sind mit dabei und hören genau zu. Jonas fragt in die Zeitzeugen-Runde: „War bei euch früher alles aus Holz?“ Aber nein.

Feldschütz musste

Federvieh im Zaum halten

So schlimm war es denn doch nicht. Es gab auch Schmiede, die Werkzeug machten und reparierten oder die Pferdehufe mit Eisen beschlugen. Lange her. Heute gibt es nur noch einen großen Bauern im Ort. In den 70er Jahren waren noch fast vierzig Bauern tätig.

Das Erntegut kam in Säcke, die auf der Sackwaage gewogen wurden. 60 bis 80 Pfund Getreide gab es vom Ar, ohne Kunstdünger, wohlgemerkt. Gemessen wurde nach Simri, ein Simri waren 33 Pfund, drei Simri ein Zentner. Der Ertrag war meist nicht groß, dafür waren die Ackerflächen zu klein, wegen der Realteilung bei der Erbschaft. Ein Besitz von zwanzig Ar galt schon als sehr viel.

Ein Feldschütz, Angestellter der Gemeinde, hatte auf die Besitztümer zu achten und die Hühner im Zaum zu halten. Keine leichte Aufgabe. Besonders wenn frisch eingesät war, machten sie sich samt Gockelhahn über die Zäune auf den Weg, um nach den Körnern zu scharren und zu picken. Ein Eintrag des Feldschützen ins Dienstbuch im Falle eines unbotmäßigen Federviehs wurde zitiert: „Als ich den Hahn holen wollte, war er schon im Potte!“ In der Kirschenzeit stiefelte er durch die Obstbaumstände, um Mundraub und Diebstahl zu verhindern.

Lagerhaltung war nicht einfach, Kühlung nur schwer möglich. Auf den Dachböden hausten Mäuse, gegen deren Vermehrungsaktivitäten die zwei Katzen pro Haushalt nicht ausreichten. Der Erntedank war Thema bei den legendären Kinderfesten, wo Schneider einmal das tapfere Schneiderlein darzustellen hatte. Wenn alles aufgelesen und gepflückt war, wurden beim Erntedankfest Beerte gebacken. Man aß im Unverstand Unmengen, „nachher gab es wieder nix“. Kartoffeln und Most waren die wichtigsten Grundnahrungsmittel. Manche Leute hatten 2000 Liter Most im Keller.

Und das Äckerle? Der Weizen steht gut, ist fast auf 1,30 Meter herangewachsen. Das „Vom Korn zum Brot“-Projekt geht nämlich weiter. Es folgt die Ernte. Wenn es soweit ist, wird gemäht, werden die Garben gebunden, die Dreschflegel im Takt geschwungen. Danach wird Mehl gemahlen, Teig bereitet, dann geht es an den Ofen im Backhaus, bis er die fertigen Brote hergibt.

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Erstellt:
24.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 28sec
zuletzt aktualisiert: 24.06.2016, 01:00 Uhr

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