„Der Schützling“

Adolf Kanter, der Spitzen-Agent der Stasi in Bonn

Man kann darüber streiten, ob Dirk Koch, der langjährige „Spiegel“-Reporter in Bonn und Brüssel, wirklich „die größte Spionageaffäre der Bundesrepublik“ nachzeichnet.

09.07.2021

Von Gunther Hartwig

Dirk Koch: Der Schützling. Dietz Verlag, 248 Seiten. 24 Euro. Foto: Dietz Verlag

Dirk Koch: Der Schützling. Dietz Verlag, 248 Seiten. 24 Euro. Foto: Dietz Verlag

Aber es bleibt verblüffend, warum die deutsche Justiz einen Mann, der fast die gesamte Führungselite der Bonner Republik schmierte, erst spät zur Verantwortung zog und milde bestrafte. Koch vermutet, dass es Absprachen zwischen Politik und Gerichtsbarkeit gab. Dabei war Adolf Kanter, engster Vertrauter von Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch, schon 1984 als Agent im Dienste der DDR enttarnt worden, doch ließ man ihn noch zehn Jahre weiter gewähren. Stasi-Legende Markus Wolf schätzte Kanter weit einflussreicher ein als Kanzler-Spion Günter Guillaume. Nicht nur Helmut Kohl und seine CDU profitierten von den illegalen Parteispenden Kanters, sondern auch eine Reihe hoher Repräsentanten der anderen damaligen Bundestagsparteien CSU, SPD und FDP. Dirk Koch leistete ganze Aufklärungsarbeit – in der Stasi-Unterlagenbehörde, in lange verschlossenen Akten der Justizbehörden und in persönlichen Gesprächen mit beteiligten oder betroffenen Zeitzeugen. Man ist am Ende sprachlos über so viel Nachsicht mit einem Agenten, der dieser Republik schweren Schaden zugefügt hat – und 1995 vom OLG Koblenz doch bloß zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde.