Reutlingen·Bodycam

„Achtung, ich zeichne jetzt auf“

Seit heute sind auch beim Polizeipräsidium Reutlingen flächendeckend Bodycams im Einsatz. Die Aufnahmen können als Beweismittel dienen.

17.04.2019

Von Uschi Kurz

Der Streifendienstbeamte Markus Brändle und seine Kollegin Joana Häcker demonstrierten gestern im Polizeipräsidium Reutlingen den Einsatz der neuen und leicht bedienbaren Bodycam. Leuchtet das rote Licht rechts oben an der Kamera, dann läuft die Aufnahme.Bild: Host Haas

Der Streifendienstbeamte Markus Brändle und seine Kollegin Joana Häcker demonstrierten gestern im Polizeipräsidium Reutlingen den Einsatz der neuen und leicht bedienbaren Bodycam. Leuchtet das rote Licht rechts oben an der Kamera, dann läuft die Aufnahme.Bild: Host Haas

Auf der Parkbank in einem Wohngebiet sitzt ein junger Mann mit einer Bierflasche in der Hand und grölt lauthals „Olé, olé“. Als zwei Streifenbeamte hinzukommen und ihn zur Ruhe rufen wollen, wird er aggressiv. Einer der Beamten erklärt ihm daraufhin, dass er nun, falls er sich nicht beruhige, seine Bodycam einschalte. Und als der Ruhestörer auf ihn los geht, heißt es: „Kamera läuft“.

Wer sich in Baden-Württemberg gegenüber Polizeibeamten aggressiv verhält, läuft ab sofort Gefahr, dass er dabei gefilmt wird. Ähnlich wie auf der Demo-Videoversion, die gestern anlässlich der landesweiten Einführung der Bodycam beim Polizeipräsidium in Reutlingen gezeigt wurde. „Ziel des Geräts soll es sein, aggressive Menschen davon abzuhalten, weiter aggressiv zu sein“, beschreibt der Leiter des Polizeireviers Reutlingen, Kriminaldirektor Michael Simmendinger, die erhoffte abschreckende Wirkung. Die sich im übrigen in anderen Bundesländern, in denen die kleinen Kameras schon länger im Einsatz sind, bestätigt habe.

Grund für die flächendeckende Einführung der kleinen Kameras, die am Körper getragen werden, erklärt Simmendinger, sei die Zunahme der Gewalt gegenüber Polizeibeamten – auch im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen (siehe: Infobox). Simmendinger betont den präventiven Charakter der Bodycams: „Für uns ist das ein Instrument der Eigensicherung.“

Insgesamt 138 Bodycams wurden für das Reutlinger Präsidium angeschafft, seit heute sind die Geräte auf den elf Polizeirevieren im Einsatz. Die Handhabung ist denkbar einfach, wie Polizeihauptkommissar Peter Maier betont. Es gibt lediglich zwei Schalter. Einen mit dem das sogenannte „Prerecording“ gestartet wird – eine Endlosschleife bei der die Aufnahmen nach einer Minute immer wieder überspielt und nicht gespeichert werden. Erst wenn der zweite Schalter betätigt wird, startet die Aufzeichnung. Beide Situationen („Kamera läuft“ und „Ich zeichne jetzt auf“), betont Simmendinger, müssen von dem Beamten, der die Bodycam mit sich führt, angekündigt werden. Zurück im Revier werden die Daten auf den hauseigenen Surfer übertragen und grundsätzlich für vier Wochen gespeichert. Wenn sie nicht strafrechtlich relevant sind, werden sie danach gelöscht. Werden sie für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren benötigt, geht das gesamte Material an die Staatsanwaltschaft.

Der rechtliche Hintergrund zur Handhabung der neuen Technik ist im Paragraph 21 des Baden-Württembergischen Polizeigesetzes geregelt. Demnach ist die Speicherung der Daten für eine Dauer von mehr als 60 Sekunden nur dann zulässig, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zum Schutz von Polizeibeamten oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist“. Mit den Bodycams gefilmt werden darf nur an öffentlich zugänglichen Orten.

Der Einsatz sei auf den öffentlichen Raum beschränkt, betont Simmendinger. Wohnungen, Versammlungsräume und Gaststätten seien ausgeschlossen: „Dort ist es nicht zulässig. Das wäre ein Dienstvergehen.“ Auch auf Demonstrationen würden die Bodycams nicht angewendet. Die Kameras seien nicht „als Dokumentationsgerät“ vorgesehen. Die Erfahrung zeige, dass die Technik sparsam eingesetzt werde. Von 214 Einsätzen in anderen Bundesländern, blieben 149 im „Prerecording“-Stadium, lediglich 65 mal wurde aufgezeichnet. Und von diesen Aufnahmen wurden später 39 als strafrechtlich relevant erachtet.

Die beiden Streifendienstbeamte Joana Häcker und Markus Brändle hatten bereits etwas Zeit, sich mit den kleinen Geräten, die unterhalb der Schulter oder auf der Brust befestigt werden, vertraut zu machen. Die Bodycams behindern sie im Alltag nicht, meinten die beiden am gestrigen Dienstag. Sie erhoffen sich von der neuen Technik, dass die Bürger „ein bisschen mehr Respekt vor den Polizeibeamten haben“. Jetzt muss sich weisen, ob sie diesen Anspruch erfüllen.

Gewalt gegenüber Polizeibeamten nimmt zu

Die Gewalt gegenüber Polizeibeamten nimmt zu. 2018 verzeichnete das Polizeipräsidium Reutlingen erneut einen Anstieg der Fallzahlen um knapp zehn Prozent auf insgesamt 376 Straftaten. Die Zahl der verletzten Beamtinnen erreichte damit 2018 einen neuen Höchststand. Insgesamt wurden 195 Polizistinnen und Polizisten verletzt, das entspricht einer Zunahme um 25 Prozent. Vom Einsatz der Bodycams verspricht sich die Polizei in kritischen Situationen Deeskalation. Sollte es dennoch zum Angriff kommen, können die Aufnahmen als Beweismittel in Strafverfahren verwendet werden.

Zum Artikel

Erstellt:
17.04.2019, 02:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 17.04.2019, 02:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!